„Bittere Bilanz“ deutscher Asylpraxis

■ Flüchtlingsorganisationen fordern zum Internationalen Tag des Flüchtlings Nachbesserungen beim Asylrecht. Asylgesetz sei eine „beispiellose Obszönität“

Bonn (taz) – „Hinter den Siegesmeldungen über sinkende Flüchtlingszahlen verbirgt sich das Versagen der Politik vor den weltweiten Fluchtbewegungen“, kritisierte Volkmar Deile, Generalsekretär der deutschen Sektion von amnesty international (ai), gestern in Bonn die deutsche Abschiebepraxis zwei Jahre nach Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes. „Eine beispiellose Obszönität des Rechtsstaates“ und „gesetzlich legitimierte Inhumanität“ nennt die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl das seit zwei Jahren gültige Verfahren. Zum zehnten Mal jährt sich heute der Internationale Tag des Flüchtlings. Anlaß für Flüchtlingsorganisationen und Politiker, die Härte des deutschen Asylverfahrens anzuprangern.

Am schärfsten kritisieren die Organisationen, daß von Verfolgerstaaten vorgelegte „Unbedenklichkeitsbescheinigungen“ – wie jüngst im Fall der sieben Sudanesen – zur Grundlage von Abschiebungen gemacht würden. „Diese Entwicklung bereitet uns ernste Sorge“, sagt auch Stefan Telöken, Sprecher der Vertretung des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland. „Das geht an die Grundfesten des Asylrechts“, so Telöken, und sei bislang auch nicht üblich gewesen.

Amnesty international veröffentlichte gestern eine Broschüre, die Auswirkungen des geänderten Asylrechts auf den Rechtsschutz von Flüchtlingen dokumentiert. Darin macht ai auch erstmals Fälle sogenannter Kettenabschiebungen öffentlich: zum Beispiel die Abschiebung zweier kurdischer Minderjähriger, die im Mai vorigen Jahres auf dem Münchener Flughafen gelandet waren. Da sie über Rom geflogen waren und dort einen Transitaufenthalt hatten, wurden sie nach Italien zurückgeschickt. Dort versuchten sie wiederum einen Asylantrag zu stellen, doch die italienischen Behörden schoben sie in die Türkei ab, wo sich ihre Spur verlor. Pro Asyl fordert deshalb die Aussetzung der Drittstaatenregelung: „Nicht die Fluchtwege, die Gründe für die Flucht müssen entscheidend für die Gewährung von Asyl sein.“

Amnesty international geht davon aus, daß das Bundesverfassungsgericht bei der anstehenden Verhandlung über das seit zwei Jahren geltende deutsche Asylrecht Änderungen verlangen wird. Die Drittstaatenregel bedürfe einer Einschränkung, forderte der ai-Flüchtlingsreferent Wolfgang Grenz gestern. Er appellierte an die Karlsruher Richter, Abschiebungen in angeblich sichere Staaten nur dann zuzulassen, wenn dem Abgewiesenen dort ein faires Asylverfahren garantiert werde.

Doch die rigide Antiflüchtlingspolitik ist nicht allein ein deutsches Phänomen. Die Bündnisgrünen bezeichneten gestern europaweite Flüchtlingsgesetze, die in dieser Woche von den europäischen Innenministern in Brüssel beschlossen wurden, als schrittweisen Abbau des Asylrechts. Auf Initiative der Deutschen beschloß die EU einen „Lastenausgleich“ in der Flüchtlingsfrage. Staaten, die sich in Krisengebieten besonders engagieren, sollen sich künftig zu einem guten Teil von „Flüchtlingslasten“ freikaufen können.

Kritik erfuhr auch der „Asylverfahrensbericht“ von Bundesinnenminister Manfred Kanther: Laut ai geht es darin allein um die Senkung der Asylbewerberzahlen, die Bekämpfung des „Mißbrauchs“ und die Abwehr illegaler und unkontrollierter Zuwanderung. „Eigentlich sollte der Schutz des Flüchtlings im Vordergrund stehen“, bedauert der UNHCR, „der wird jedoch mit keinem Wort erwähnt.“ Volker Weidermann

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