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„Wolf, der: graugelb gefärbtes Raubtier“

Die Postmoderne sucht Trost bei der Postrevolution: „Maschinen und Wölfe“ im Hebbel Theater  ■ Von Petra Kohse

Manche Orte vergißt man, weil, andere obwohl man schon einmal dort gewesen ist. Das Hebbel Theater hat ja wirklich einen zweiten Rang, es gibt da oben ein kleines Foyer, und derzeit wird man, spätabends um halb elf, auch eingelassen.

Auf dem schmalen Streifen zwischen drei Bankreihen fürs Publikum und einer Wand aus klinkenlosen, hellgrün gestrichenen Holztüren wird „Maschinen und Wölfe“ gespielt, ein Stück, das Marold Langer-Philippsen nach Motiven des 1925 entstandenen Romans von Boris Pilnjak geschrieben und inszeniert hat.

Ein Stück? Eine poetische Sequenz, eine Aneinanderreihung und Überlappung von Augenblicken im Leben von Menschen in der russischen Provinz 1923/24. Die Revolution ist vorüber. Ist sie das? Sie war siegreich. War sie das? Sie dauerte ein Leben, auf jeden Fall. Auch ein Beitrag zum Festwochen-Thema „Moskau-Berlin“, mit Wiener und Berliner SchauspielerInnen verwirklicht. Langer- Philippsen selbst ist seit dieser Spielzeit als Regisseur und Dramaturg an Leander Haußmanns Bochumer Schauspielhaus engagiert.

Fünf Figuren versuchen, Zeit zu verbringen. Warum nicht? Sie denken laut über ihr postrevolutionäres Leben nach, über ihre ökonomische Situation. Alle glauben an Rußland (im Prinzip!), und Andrej (Rainer Winkelvoss) will auch an den Kommunismus glauben, „an die Maschinenmenschen“ und an Wölfe in Freiheit.

Und doch hat er einen Traum, in dem er einen Wolf im Tierschau- Käfig kreisen sieht und plötzlich das Schwungrad einer Maschine vor sich sieht. Dann trinkt er Wodka; ein Typ im kaputten Ledermantel, für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft kaum geeignet.

Maschinen. Ein Filmprojektor steht vor Andrej, vor Iwan ein Radio und ein Bleistiftanspitzer. Der ist wichtig, denn Iwan (Ulrich Hoppe) glaubt, die Welt könnte in Ordnung sein, wenn nur Ordnung in der Welt wäre. In ein Buch trägt er ein, was ihn interessiert: Ernährung. Zahlen. Licht, Optik, Frauen, Bleistifte. Die müssen gleichlang gespitzt sein.

Im Anzug und in Gummischuhen sitzt er am Tisch, ein ziellos strebsamer Studiosus, dem Leben zur Rekapitulation geworden ist und der sich gleichermaßen mit Metaphysik und statistischen oder lexikalischen Details beschäftigt. „Wolf, der: graugelb gefärbtes Raubtier ...“

Ganz rechts sitzt eine romantische Schwärmerin zwischen Stapeln von Büchern. Miliza (Astrid Gorvin) stickt, lobt Tschechow und sagt später einige Sätze aus der Feder des Regisseurs: „Wie habe ich bis heute nicht bemerken können, daß auf der Welt nichts geschieht und nichts geschehen kann.“ Und: „Es gibt nicht einmal ein Jetzt.“

Aber Juri. Noch einer in diesem Chor der enttäuschten Revolutionäre, der doch ohne besserwisserische Häme der westlich Nachgeborenen dargestellt wird. Juri (Hasan Ali Mete) liegt auf dem Bett, steht ab und zu auf, um sich mit Fotoschnipseln einen Weg zurück in die Wirklichkeit zu pflastern. Dann wieder starrt er verständnislos auf eine Landkarte oder marschiert im Kleinstkarree für Rußland. Prophylaktisch.

Marja (Suzanne Vogdt) polemisiert indessen monoton gegen den technischen Fortschritt. In Heimarbeit fertigt sie Klingeln. In Fünferreihen legt sie sie auf den Boden, nebenbei spricht sie über das freudlose Leben in Rußland und wünscht sich den Dampf aus den Maschinen, auf daß es wieder Zeit gäbe, zu lieben. Ach ja!

Regisseur und Darsteller blicken mit heutiger Hoffnungslosigkeit auf Pilnjaks Gesellschaftsstudie von einst. Unwillkürlich wirkt sie wie ein Grauwaschgang; die Postmoderne sucht Trost bei der Postrevolution, da bleibt kein Rest von Leidenschaft.

Dieser Schulterschluß 60 Jahre rückwärts wird dadurch aber auch nicht kitschig. Die Selbstoffenbarung dieser zwischengelagerten Menschen funktioniert wie ein Uhrwerk. Mit mehr Motorik denn Ausdruck und natürlich vergeblich sucht jeder von ihnen den Punkt, von dem aus sich das Leben wieder lohnen könnte. Ganz stilles Theater, hoch oben, spät abends, kaum noch zu sehen – ein Versuch.

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf im Käfig, ein Spielzeugwolf, ein Wolfsmaschinchen. Als 70 Minuten vorüber sind und die Klingeln am Boden eine Ordnung haben, ist die Vorstellung zu Ende. Sie hat keine Richtung, aber als kleine Meditation überzeugt sie im Detail.

Bis 1.10., 22.30 Uhr, Hebbel Theater, Foyer im 2. Stock, Stresemannstraße 29, Kreuzberg

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