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Das Dasein kuppelt, der Dichter rast

Der Bachmann-Preisträger Franzobel las im Tacheles seine Erzählung „Krautflut“ – in Rekordzeit  ■ Von Jörg Häntzschel

Der Nachtzug nach Wien fährt um 22.31 Uhr ab Lichtenberg. Wer den erwischen will, aber erst eineinhalb Stunden früher mit einer Lesung im Tacheles beginnt, der muß sich beeilen. Den Wiener Franzobel, 28, bisher bildender Künstler, jetzt Bachmann-Preisträger, hielt es offenbar nicht länger in Berlin.

Den Zug müsse er unbedingt nehmen, begrüßte er seine Zuhörer am Donnerstag im Café Zapata, um dann, wie schon bei der Lesung in Klagenfurt, den Abend mit dem Knacken einer im roten Wanderrucksack mitgebrachten Dose Warsteiner zu eröffnen. Schon letzte Woche sollte der Autor lesen, doch er selbst wußte davon nichts. So mußte die damals zahlreiche Zuhörerschaft mit dem als Vorgruppe auftretenden Fritz Ostermayer vorlieb nehmen, der zu seinen Texten Dias von Leuten zeigte, die beim Onanieren ums Leben kamen.

Unverzüglich beginnt Franzobel jetzt, durch „Krautflut“ zu pflügen, „den Text, der mir eine gewisse Bekanntheit eingebracht hat, den Bachmann-Preis nämlich“. Franzobels Sprache klingt wie ein Eurocity auf einer verwahrlosten tschechischen Nebenstrecke. Dadam, dadam geht es durch den Text wie über Gleisschwellen. Beim stillen Lesen zu Hause hatte man ja keine Ahnung davon, was sich da alles reimt, wie dieser mal monoton stampfende, mal verwickelt sich lockernde Rhythmus durch die Prosa treibt. „Absichten ... Ausrichtung ... Einrichtung ... Anrichte“ – die Zuhörer sind begeistert, aber zum Lachen oder Klatschen bleibt kaum Zeit: „Die neueste Idee von unserem Dasein. Sie schalten, das Dasein kuppelt. Darling, jeden Tag ein Darlehen.“ Bis an den Rand des Entgleisens legt sich Franzobel in die Kurven und rumpelt über Weichen.

Nur einmal hält er kurz an, als er das Gelalle eines Schnäpse kippenden Kunstverächters, der schon zu Beginn „Ein Österreicher! Wie langweilig!“ gerufen hatte, irrtümlich als Mißfallensäußerung des Publikums verstand. Als er zur zweiten Hälfte anhub, ließ der Störer mit den Worten „Würdest du bitte auf dieses Bier aufpassen?“ endlich von der von ihm bedrängten Zuhörerin ab und schnürte Richtung Oranienburger Straße davon.

Schnell gab man seine Bemühungen auf, aus der Textmusik die rudimentäre Geschichte – es geht um Liebe, Eifersucht und Mord – herauszufiltern. Lieber hörte man um die Ecken und in die Winkel dieses tänzelnden Wiener Monologs, der funkeln und perlen würde, würde Franzobel nur nicht so nuscheln.

Suhrkamp sollte Franzobels Texte als CD veröffentlichen, Franzobel eine Zweitkarriere als Rapper ernsthaft ins Auge fassen. Nach einer halben Stunde hatte es der schüchterne Dichter geschafft, huschte hinaus, und klapp machte die Taxitür. Kaum war er draußen, schwallte eine Gruppe von US- Youngsters herein, die breit unter ihren Basecaps hervorgrinsten, zufrieden über den rostigen Kunstkram, der ihnen von allen Wänden und Decken entgegenhing.

War das jetzt schon alles, fragten sich Franzobels Zuhörer? „So ertränkt sich die Geschichte selbst mit sich. Das ist ein Widerspruch, den spült sie mit sich mit, und aus den letzten Zipfeln Zuordenbarkeit wringt sich was und das ist das (...).“ Franzobel saß längst im Zug.

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