Zusammenwächst, was miteinander schläft

■ Studien, wonach die deutsch-deutsche Vereinigung in puncto Liebe eine Einbahnstraße sei, bei der lediglich die Beziehung Ostfrau und Westmann funktioniere, sind überholt

Nach der für viele Berliner erschütternden Nachricht, die Stadt sei keine Single-Metropole, nun eine Meldung, die den Optimisten in puncto deutsch-deutsche Wiedervereinigung ans Herz gehen dürfte: Der siebte Himmel über Berlin ist fünf Jahre danach tatsächlich nicht mehr ganz so geteilt. Laut Statistischem Landesamt waren von den 18.130 Eheschließungen des Jahres 1991 zwar nur 471 von Partnern aus beiden Teilen der Stadt geschlossen wurden.

1994 kletterte diese Zahl bei 17.370 Heiraten immerhin auf 527. Von der Ungenauigkeit einmal abgesehen, etwa daß Statistiker nur den aktuellen Wohnort der Partner erfassen und nicht den Teil der Stadt, gilt: Es wächst zusammen, was miteinander schläft.

„Wer wirklich einen Partner sucht, der guckt schon mal übern Gartenzaun“, weiß Dirk L., 32 Jahre alt, Innenausbauer aus dem Prenzlauer Berg. Nach einer gescheiterten Ehe pflegt er derzeit – „noch auf der Suche“ – drei Beziehungen. Zwei im West-, eine im Ostteil der Stadt. Diverse Studien, wonach die deutsch-deutsche Vereinigung in puncto Liebe eine Einbahnstraße sei, bei der lediglich die Beziehung Ostfrau und Westmann funktioniere, hält er für überholt. „Natürlich gibt es Westfrauen, die gehen einem mit ihrem Gerede über Emanzipation ziemlich auf die Nerven.“ Doch die natürliche, selbstbewußte und liebevolle Art, die Frauen aus dem Ostteil der Stadt nachgesagt wird, finde man auch nicht auf Schritt und Tritt.

Die Einschätzung der Ostberliner Psychologin und Publizistin Katrin Rohnstock, wonach die Anziehungskraft zwischen West- Frauen und Ost-Männern so gering sei, daß „diese Form der Liebesbeziehung geradezu exotischen Seltenheitswert hat“, wird von der Berliner Statistik jedenfalls nicht ausreichend untermauert.

So heirateten 1991 zwar 398 Ost-Frauen West-Männer, aber auch 73 West-Frauen Ost-Männer. 1994 schlossen 342 Paare in erstgenannter Konstellation den „Bund fürs Leben“, aber bereits 185 mal vereinten sich Frauen aus dem West- und Männer aus dem Ostteil der Stadt.

Daß Beziehungskisten, bei denen der Mann aus dem Westen, die Frau aus dem Osten stammt, nicht immer einen Rückfall an Wiege und Herd bedeuten müssen, zeigt das Miteinander von Udo und Christiane. Das Berliner Journalistenehepaar bewältigt den Ost- West-Konflikt seit drei Jahren „eigentlich ganz gut“. „Mit Christiane habe ich eine Frau gefunden, die meinem Naturell entspricht.“ Hausmütterchen hätten ihn sowieso nie interessiert, doch die selbstbewußten West-Frauen seien ihm schon immer eine Spur zu hysterisch gewesen.

Reibungspunkte gibt es dennoch nicht wenige. Udo weiß zwar aus den Lebensberichten seiner Eltern über die Auswirkungen von Umbruchsituationen, erlebt hat sie jedoch Christiane. Wenn ihm andererseits der Vorwurf gemacht wird, Leute nicht ernstzunehmen, überheblich und zynisch zu sein, so kann er dies damit erklären, daß die Fähigkeit, Motive von Handelnden zu kritisieren, im Westen stark trainiert wurde. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen mit dem Osten „angefangen von einer Großmutter, die mich mit Kinderbüchern und Spielzeug aus der DDR versorgte“, ist Udo wiederum geneigt, eine „gewisse ostdeutsche Schlafmützigkeit“ mehr zu entschuldigen als es Ehefrau Christiane kann.

Alles bestens, möchte man meinen, gäbe es da nicht den kleinen, aber wichtigen Unterschied in der Biographie. Beide sind heute journalistisch tätig. Doch selbst, wenn seine Frau doppelt soviel arbeiten würde wie er, könnte sie nur die Hälfte von dem verdienen, was er nach Hause trägt. „Zwar haben wir ein gemeinsames Konto und ich gebe ihr auch nicht das Gefühl, daß sie wirtschaftlich von mir abhängig ist, doch ich denke, daß sie das Ungleichgewicht hinsichtlich der Anerkennung ihres beruflichen Werdegangs als unangenehm empfindet. Mir würde es genauso gehen.“ Kathi Seefeld