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"Wie Schwerverbrecher behandelt"

■ Die Anzeige einer Frau wegen sexueller Nötigung führte zu massivem Polizeieinsatz vor Treffpunkt türkischer Jugendlicher. Ihnen wurden zur Feststellung der Personalien Handschellen angelegt

Weil ein türkischer Jugendlicher ihrer 13jährigen Tochter zwischen die Beine griff und es daraufhin zu einem Handgemenge mit dessen Freund kam, erstattete die Mutter Anzeige bei der Polizei. Bis der Streifenwagen vor dem Jugendtreff in der Schöneberger Katzlerstraße ankam, waren die beiden Übeltäter abgehauen, schilderte die Mutter der taz. Vor dem Treffpunkt standen noch etwa 20 unbeteiligte Jugendliche. Obwohl die Frau den Beamten sagte, daß die beiden Täter nicht mehr darunter seien, forderten diese Verstärkung an, um die Personalien der Jugendlichen zu überprüfen.

Nach Berichten eines Augenzeugen rückte die Polizei mit sieben bis acht Mannschaftswagen an. „Die haben uns behandelt, wie Schwerverbrecher“, kritisierte ein Jugendlicher bei der gestrigen Pressekonferenz. „Sie haben uns an die Wand geschubst, und wir mußten die Arme hochnehmen. Dann haben sie uns Handschellen angelegt.“ Auch andere 13- und 14jährige seien auf diese Weise behandelt worden.

Ein Jugendlicher, der sich weigerte, die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen, sei zusammengeschlagen worden. Ein weiterer, der während des Einsatzes von der U-Bahn kam und dessen Personalien ebenfalls festgestellt werden sollten, wehrte sich. Wie er einräumte, schlug er einem Polizisten auf die Hand. Daraufhin sei er zu Boden geworfen worden. „Fünf oder sechs Polizisten sind auf mir herumgetrampelt“, sagte er. Er habe ziemliche Rückenschmerzen gehabt. Ein anderer berichtete, er sei von Beamten als „Pißkopf“ beschimpft worden.

Als sie nach anderthalb Stunden freigelassen wurden, gingen die Jugendlichen zur Erste-Hilfe-Station des Joseph-Krankenhauses und ließen sich ihre Verletzungen attestieren. Bei mehreren wurden Zerrungen an den Handgelenken, Prellungen an der Stirn und an Unter- und Oberschenkeln festgestellt.

Eine Polizeisprecherin erklärte, daß die Täter in der Menge vor dem Jugendtreff erkannt worden wären. Das Vorgehen der Beamten bei dem Einsatz am vergangenen Sonntag abend sei daher gerechtfertigt gewesen. Gegen einen Jugendlichen erging Haftbefehl wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Er sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft.

Den Jugendlichen war gestern anzumerken, wie ungerecht sie sich behandelt fühlen. Der Ruf des Selbsthilfeprojektes sei durch die Polizeiaktion geschädigt worden. Den Treffpunkt haben ehemalige Mitglieder der Jugendgang „Die Barbaren“ selbst aufgebaut. Die Gruppe, der zeitweise bis zu 200 Jugendliche angehörten, hatte sich ursprünglich als Abwehr gegen Skinheads gegründet. Nach Angaben eines türkischen Sozialarbeiters galt sie lange Zeit als „gewaltbereit“. Einzelne Mitglieder seien an Straftaten beteiligt gewesen.

Nachdem sich die Jugendlichen den Treffpunkt aufgebaut hätten, wäre aber eine „eine richtig vernünftige Gruppe“ daraus geworden. Während sie früher ziellos auf der Straße rumgehangen hätten, hätten jetzt alle eine Ausbildung, Arbeit oder besuchten die Schule. „Wir geben uns soviel Mühe, warum werden wir immer noch so behandelt?“, fragte einer der Jugendlichen. Und der Sozialarbeiter ergänzt: „Wollen die, daß sie wieder barbarisch werden?“ Dorothee Winden

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