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Ein Dollar geht immer ans Haus

Kasparow und Anand spielen, von der US-amerikanischen Öffentlichkeit fast unbemerkt, um die PCA-WM. Das wahre Schach findet zu Füßen des World Trade Centers statt  ■ Aus New York Stefan Löffler

Sonnenstrahlen haben am Trinity Place keine Chance. Reihum wechseln die Schatten von Lower Manhattans Türmen. Um die Mittagszeit wimmelt es hier von Krawattenhemden, Kostümen und Lunchtüten. Einige bleiben an den Schach- und Backgammontischen hängen, schauen zu oder wagen ein Spielchen. Ein Dollar geht immer ans Haus, den Einsatz bestimmen die Spieler. „Ich habe hier Broker, Banker, Anwälte, Bauarbeiter, wirklich alles, was du dir vorstellen kannst“, sagt Nat, der eigentlich Nathan heißt. Nur Frauen gebe es kaum, die schauten vielleicht mal zu, zockten aber selten.

Nat ist das Haus. Die Stühle, Tische, Spiele und Schachuhren gehören ihm. Früher war er am Times Square, dann hat ihm dort ein Konkurrent die Cops auf den Hals gehetzt und kurze Zeit später im Bryant Park seine eigenen Tische aufgemacht. Jetzt hat sich Nat im Financial District etabliert, und das Geschäft geht gut, obwohl es früh kalt wird. Gewöhnlich wird mehr Backgammon gezockt, manchmal um zwanzig Dollar pro Punkt. Aber seit drei Wochen kommen immer mehr Leute zum Schach, auch wenn dabei selten mehr auf dem Spiel steht als wer das Haus bezahlt, berichtet Nat. Drüben im World Trade Center, das seine Schatten am frühen Abend wirft, ist Schachweltmeisterschaft. Ob ich nicht eine Pressekarte für ihn übrig habe?

Oben, in der Aussichtsplattform auf der 107. Etage, erklären mir enttäuschte Fans, wo das richtige Schach gespielt wird, nämlich bei Nat oder im Washington Square Park. Da wandern Geldscheine über den Tisch, da wird der Gegner beschimpft, da ist noch echte Emotion im Spiel. Und dann, mein Gott, warum spielen Kasparow und Anand auch ständig remis? Bei ihren Lieblingssportarten Baseball und Basketball haben die Amerikaner das Unentschieden längst abgeschafft. Jetzt will Kasparow Schach in den USA promoten und bietet in acht Partien achtmal Remis an. Oder vielleicht sollten sie schneller spielen, so wie Ende Juni im Tribeca Center. Dort war Bürgermeister Rudy Giuliani zu Besuch, fand die Schachshow prima und bat Kasparow, bald wiederzukommen. Daraufhin zog das Match von Köln nach New York. Als Giuliani am 21. Juli für die metropolitane Presse die PCA- Schach-WM an Land zog, war die Verlegung in Deutschland schon drei Wochen bekannt.

Die „Professional Chess Association“ (PCA) gründete Garri Kasparow im März 1993 zusammen mit dem Engländer Nigel Short, der sich gerade als Herausforderer zum WM-Finale qualifiziert hatte. Der offizielle Weltverband FIDE habe die Spieler nicht um ihre Meinung gefragt, wo und mit welchem Preisfonds die Weltmeisterschaft stattfinden soll, begründeten Kasparow und Short ihre Lossagung. Dabei hatte der Titelverteidiger der FIDE seinen Segen gegeben, und sein englisches Gegenstück war durch seinen Bevollmächtigten einverstanden mit der Entscheidung. Seitdem hat sich die PCA eine Erfolgsstory geschrieben, die ihresgleichen sucht.

Wenn die Sonne scheint, kommen die Touristen trotz des Schachaufschlags und bezahlen fünfzehn Dollar statt der üblichen sechs. Erst als der Turm während der achten Partie in dichte Nebelschwaden gehüllt ist, scheiden sich die Fans von den Ausblicksuchern, abgesehen von einer chinesischen Gruppe, die verloren durch die Gänge schlurft. 1.400 zahlende Gäste nennt die PCA. An diesem Freitag. Ein Drittel davon ist die höchste Schätzung, die ich sonst noch erhalte. Vor der Glaskabine, in der Kasparow und Anand spielen, stehen gut fünfzig VIP-Plastikstühle, von denen mal weniger als zehn, mal gut die Hälfte besetzt sind. Um die 150 Plätze vor den Kommentatoren ist mehr Gerangel. PCA-Geschäftsführer Bob Rice möchte die Weltmeisterschaft am liebsten auch in den beiden folgenden Jahren hier oben ausrichten.

Seit seinen ersten USA-Reisen Ende der 80er Jahre ist Kasparow besessen von der Idee, Schach in den USA zu etablieren. 1990 ließ er seine WM mit Anatoli Karpow teilen, um eine Matchhälfte nach New York zu bringen. Trotz guter Organisation winkten die Fernsehnetworks ab. Für 1993 fand Kasparow in Los Angeles Geschäftspartner, die ein Rekordpreisgeld von vier Millionen Dollar auftreiben wollten. Doch die Finanzierung in Kalifornien scheiterte lange im voraus. Schon seit Jahren träumt Kasparow von einem Schaukampf in Las Vegas.

Mit Wall-Street-Anwalt Bob Rice glaubt er den Mann gefunden zu haben, der ihm die Türen zu „Corporate America“ öffnet. Immerhin brachte der 39jährige Wirtschaftsjurist die PCA mit dem Chip-Produzenten Intel zusammen und warb die Kleinsponsoren für das laufende Match. Aber die erhofften Millionendeals blieben aus. Das Preisgeld ist halb so hoch wie 1990. Und daß IBM Kasparow über einen Computer-Schaukampf im Februar 1996 in Philadelphia sponsern will, ist nicht wahrscheinlich, nachdem die Geschäftsergebnisse bei IBM stark nachgelassen haben.

Der Schlüssel zu Amerika ist für Kasparow das Fernsehen. Um die Produktionen zu finanzieren, wird das Preisgeld um ein Zehntel gekürzt. In mehreren Presseerklärungen spricht die PCA von der größten Fernsehberichterstattung, die Schach je erhielt. Doch gerade in den USA erreicht das Match bisher kaum Airtime. CNN strahlt die Schachmeldungen nur in seinem internationalen Programm „World Sports“, aber nicht in den USA aus. CBS ist Spitzenreiter mit drei kurzen Stücken, die in New York, aber nicht national zu sehen waren. Fox und ABC berichteten ebenfalls nur lokal und zu Beginn. Der landesweite Sportkabelkanal ESPN ist das Prunkstück des PCA- Fernsehens. Doch nur zwei der sechs halbstündigen WM-Sendungen werden schon während des Matches gezeigt. Die übrigen Ausstrahlungen sind Wiederholungen, laufen bis in die Weihnachtszeit nachmittags an Werktagen – nicht gerade zur besten Sendezeit.

Außerhalb der USA ist die Resonanz besser. In Rußland überträgt der Zweite Kanal ein 15minütiges Programm von jeder Partie, und zwar fast in der Prime time. In Indien wurde die elfte Partie sogar live übertragen, allerdings ab 0.30 Uhr, lange nach dem üblichen Sendeschluß des Programms.

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