■ Mit fiktiver Volkswirtschaft auf du und du
: Bestellen üben

Nürnberg (taz) – Sie kaufen Autos oder Sonnencremes, die es nicht gibt, verkaufen Kristallgläser oder Bohrmaschinen, die es nicht gibt und verschicken Pakete, die es nicht gibt: 816 Übungsfirmen organisieren in Deutschland eine zweite, fiktive Volkswirtschaft. Jeweils rund 20 bis 30 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kalkulieren Preise, bestellen bei anderen Übungsfirmen Waren, überweisen Rechnungsbeträge, ohne daß eines der gehandelten Güter wirklich existieren würde. Auch eine Messe hat die fiktive Volkswirtschaft: Die 31. Internationale Übungsfirmenmesse hat in dieser Woche 229 Ausstellern in Nürnberg ein Forum für simulierte Verkaufsgespräche geboten.

Die Wertschöpfung geschieht in den Köpfen: Vor allem schwer vermittelbare Arbeitslose und WiedereinsteigerInnen in den Beruf sollen im lebensecht gespielten Firmenalltag ein Gefühl für die aktuelle Wirtschaftspraxis bekommen. Gleichzeitig sollen sie in Kursen Wissenslücken vor allem im Computerbereich schließen, sagt Alfons Gummersbach vom Deutschen Übungsfirmenring.

Gewinn verspricht sich davon die Bundesanstalt für Arbeit (BA), die rund vier Fünftel aller Übungsarbeitnehmer finanziell fördert. Für die anderen, darunter viele Behinderte, kommen die Landesversicherungsanstalten oder Unternehmen auf. BA wie Versicherungsanstalten wollen so Problemfälle schnell ins Berufsleben integrieren. Mit Erfolg: Über fünfzig Prozent der Übungsangestellten finden anschließend eine reale Arbeit. Die Übungsfirmen gehen sogar von 60 bis 70 Prozent Erfolgsquote aus.

Nicht ganz glücklich ist die Bundesanstalt mit der Qualität vieler Übungsfirmen. BA-Mitarbeiter Werner Steckel berichtete, daß 15 Prozent der Firmenträger unzureichend ausgestattet seien. Die Qualität habe sich allerdings in den vergangenen Jahren verbessert. Vor vier Jahren mußte die BA noch zwei Drittel aller Übungsfirmen rügen. Der Grund: Nach der Vereinigung war eine Übungsfirmengründungswelle über Ostdeutschland geschwappt. Viele der Neuen waren ebenso unprofessionell wie kurzlebig.

In Deutschland hat sich die Zahl der Übungsfirmen inzwischen stabilisiert, andernorts schnellt sie nach oben. Rund 600 Trainingsbetriebe sind inzwischen im Ausland entstanden, die meisten in Europa. Entsprechend war auch nur ein Trend in Nürnberg wirklich auffallend (fiktive Produktneuheiten gibt es nicht): 68 ausländische Aussteller gaben der Messe internationales Flair. Vergangenes Jahr waren es erst 50. Nikolaus Nützel