„Parlamentarischer Beutezug“

■ Alterspräsident Stefan Heym legt aus Protest gegen die Diätenerhöhung sein Mandat nieder. Die Fraktionen von Union und SPD halten weiterhin an der Angleichung der Diäten an Richterbezüge fest

Bonn (taz) – Stefan Heym hat es nicht mehr ausgehalten. Der Alterspräsident des Deutschen Bundestages legte gestern aus Protest gegen die Diätenerhöhung sein Mandat nieder. Er wolle nicht an dem „parlamentarischen Beutezug teilnehmen“, sagte er. Sein Nachfolger als Alterspräsident wird CDU-Rechtsaußen Alfred Dregger.

SPD und Union konnte das erwartungsgemäß nicht beeindrukken. Beide Fraktionen wollen an der vom Bundestag beschlossenen Diätenerhöhung durch Grundgesetzänderung festhalten. Dies machten gestern führende Politiker nach Sondersitzungen der Fraktionen deutlich. Zugleich zeichnet sich ab, daß im Bundesrat für die neue Regelung keine Zweidrittelmehrheit zustande kommt.

Neue Argumente gegen die Reform lieferte gestern der Verwaltungsrechtler Hans-Herbert von Arnim. Er warf Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) vor, sie täusche die Öffentlichkeit mit der Behauptung, die Neuordnung führe zu einer Senkung der Altersrenten für Abgeordnete. Das Gegenteil sei richtig. Bei den Altersansprüchen der Abgeordneten sei sogar eine beträchtliche Anhebung des Rentenniveaus geplant. Süssmuth, so Arnim, habe „unsinnige Beispiele gebildet, die praktisch gar nicht vorkommen können, nur um in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, das neue Gesetz führe zu erheblichen Einbußen bei der Altersrente“.

Sollten die Bundesländer die Grundgesetzänderung ablehnen, will die Union versuchen, die Reform auch gegen den Bundesrat durchzusetzen. Die Diätenregelung soll dann als normales Gesetz verabschiedet werden. Ein Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat lehnt die Union ab. Bei den Sozialdemokraten hält man sich in dieser Frage noch bedeckt. SPD-Abgeordnete hatten in der Fraktionssitzung am Dienstag der Partei- und Fraktionsführung mangelnde Koordinierungsfähigkeit vorgeworfen. Fehlende Abstimmung mit den Ländern mußte sich Scharping von den eigenen Leuten vorwerfen lassen. Jede Äußerung von SPD- Ministerpräsidenten zur Diätenfrage wird in der Fraktion daraufhin abgeklopft, ob sie sich nicht vor allem gegen den Partei- und Fraktionschef richtet.

Umgekehrt können parteipolitische Motive auch SPD-Politikern in Kiel oder Hannover eine Zustimmung nahelegen: Scheitert die Reform, scheitert möglicherweise auch Scharping. Im Rechtsausschuß des Bundesrates hatten sich am Donnerstag acht der sechzehn Bundesländer für die Diätenreform ausgeprochen. In manchen SPD-Staatskanzleien wird jetzt die Frage gestellt: Warum hat die Bonner SPD nicht die Spitzenleute der Union alleine an die Front treten lassen? Obwohl das Scheitern in erster Linie die SPD treffen würde, hat auch die Unionsspitze daran kein Interesse: Die Blamage träfe das gesamte Bonner Personal, die Folgen des aufziehenden Streits zweier Verfassungsorgane sind angesichts der hellen Empörung schwer zu kalkulieren.

Unklar ist noch, wie ein Kompromiß des Bundestages mit dem Bundesrat aussehen könnte, dessen Chancen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) mit Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) besprechen will, der dem Bundesrat vorsitzt. Denn Grundgesetzänderung und Diätenreform sind im Bundestag verabschiedet worden und können nicht mehr zurückgezogen werden. Karin Nink/Hans Monath