Im Gerichtssal hatten Neonazis viel zu lachen

■ Ein Verteidiger namens „Sieg“ beantragte im Koblenzer Neonaziprozeß die Verlesung von „Mein Kampf“. Alte Kameraden freuten sich über die Seifenoper

Koblenz (AP) – Der Vorsitzende der rechtsextremen Deutschen Nationalisten (DN), Michael Petri, stand bei Gesinnungsgenossen im Zuschauerraum, als der Prozeß gegen ihn und 15 Mitangeklagte vor dem Landgericht Koblenz eröffnet wurde. Erst nach Aufforderung seines Verteidigers Hans-Otto Sieg hin ging der 23jährige zur Anklagebank, begleitet vom Gelächter im Saal. „Den Auftritt hat er gebraucht“, meinte der Chef der Aktionsfront Nationaler Kameraden (ANK), Manfred Huck. Seine Stimmung sollte sich im Verlauf des ersten Verhandlungstages noch bessern.

Juristen wußten, daß ein solches Mammutverfahren nur schwer zu handhaben ist. Den Angeklagten wird vorgeworfen, daß sie die 1992 verbotene Deutsche Alternative (DA) in der ANK und der DN fortgeführt hätten.

Die beiden Neonazigruppen haben laut Verfassungsschutz zusammen 110 Mitglieder. Als Höchststrafe droht den Beschuldigten ein Jahr Haft wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz.

Heiterkeit löste schon die Verlesung der Personalien aus: Der Verteidiger eines Angeklagten heißt Führer.

Ein 17jähriger Angeklagter fehlte, ein anderer tauchte erst während der Verhandlung auf, mehrere Anwälte wurden überraschend von Kollegen vertreten. Schallendes Gelächter erntete Rechtsanwalt Sieg mit seinem Antrag, das NSDAP-Parteiprogramm und Hitlers „Mein Kampf“ entweder in der Hauptverhandlung vollständig zu verlesen oder zumindest jedem Prozeßbeteiligten ein Exemplar sowie einen Monat Zeit zum Lesen zur Verfügung zu stellen. Passagen aus „dem schönen Buch“ seien von der Staatsanwaltschaft als Beweismittel angeführt.

Panne bei Vernehmungsakten

Ernster war, daß Sieg aufgrund einer Panne eine Vernehmungsakte nicht hatte einsehen können. Nach einer ersten Beratungspause entschuldigte sich der Vorsitzende Richter Dieter Unkrich dafür. Er mußte gleich noch einmal um Pardon bitten, als ein anderer Anwalt feststellte, daß das Gericht vergessen hatte, die Umbesetzung der Schöffenbank mitzuteilen. Eine Woche Prozeßunterbrechung zur Überprüfung der rechtmäßigen Besetzung beantragten die Verteidiger daraufhin. Huck, dessen Verfahren wegen eines anderen Prozesses gegen ihn eingestellt worden war, bekundete erneut Vergnügen: „Das ist eine Seifenoper!“

Der Vorsitzende ließ schließlich die Vernehmungsakten an alle Anwälte verteilen, stellte die Entscheidung über NSDAP-Programm und „Mein Kampf“ zurück und vertagte die Sitzung noch vor Verlesung der Anklageschrift auf nächsten Freitag. Da dämmerte es einem Zuschauer in Springerstiefeln plötzlich: „Wenn das so weitergeht, sitz' ich in zwei Jahren noch da.“ Roland Losch