Der gute alte Rücktritt

■ Stefan Heym hat ihn wiederentdeckt

In den vergangenen Wochen war etwas aus dem Blickfeld geraten, daß es wirksamere Arten des politischen Protestes gibt als den Hungerstreik oder eine Dampferfahrt auf dem Südpazifik: den guten alten Rücktritt. Er ist nicht einfach so mittendrin abzubrechen, er ist ultimativ, nicht zu retten, und, sein größter Vorzug, er ist vielseitig anwendbar. Zu Hause mit der Ehefrau gestritten? Rücktritt! Unzufrieden mit dem Gehalt? Rücktritt! Ärger mit den Diäten? Rücktritt!

Es liegt nahe, daß sich Stefan Heym weder für eine Kreuzschiffahrt mit integrierter Seenot noch für eine dauerhafte Verweigerung der Nahrungsaufnahme im Moment so richtig in Form fühlte. Also, kann man schlußfolgern, hat er den Rücktritt gewählt, um seinen Ärger auszudrücken: Die da in Bonn denken nur an das eine. Aber diese Schlußfolgerung ist zu kühn. Sie trifft nicht das Problem Stefan Heyms, und das liegt nicht an der bestechenden Präzision, die seiner Analyse zugrunde liegt. Es ist viel lapidarer: Heym wollte eigentlich nichts sagen, er wollte zurücktreten. Einfach so. Als Begründung dafür taugt im heutigen Politikbetrieb so ziemlich jeder Satz. Gut, waren es heute eben die Diäten, was soll's. Ein Streit darüber, ob Heym und die PDS schon vor den Bundestagswahlen 1994 den Rücktritt geplant hatten, ist müßig; Wer dennoch nicht davon lassen will, kann ja Wolfgang Thierse bei der SPD anrufen. Und das alles soll nun „Respekt“ (Gregor Gysi) verdienen? Na ja.

Stefan Heym hat das Direktmandat in Prenzlauer Berg gegen Wolfgang Thierse gewonnen. Der Wutausbruch einer Ostberliner Frau auf einer Wahlkampfveranstaltung damals sagt fast alles darüber, warum Heym gewonnen hat: Sie verstehe nicht, rief sie Thierse mit zitternder Stimme entgegen, daß er noch an diese ganze Parteiendemokratie glaube, sie könne das schon lange nicht mehr. Also hat sie Heym gewählt, den Unruhestifter, den störrischen Bürger. Sie hat Hoffnungen in ihn gesetzt. „Schnallt euch fest, Boys, es geht wieder los“, hatte Heym, sich selbst aus einem seiner Essays zitierend, auf seinen Wahlplakaten versprochen. Denen da in Bonn wollte er Dampf machen. Aber genau das hat er nicht getan. Er hat sich so verhalten wie nicht wenige seiner Wähler. Heym jammert, er macht keine Politik. Seine Stimme im Bundestag erwies sich als zu schwach, schreibt er in seiner Rücktrittserklärung. Ach Gottchen, der Arme, werden sie im Westen sagen, hat der etwa das Gegenteil geglaubt? Verheerender für den Osten hätte Heyms Begründung nicht sein können. Jens König