Zitronenmousse an Saucenvariation

■ Reederei Hapag-Lloyd ließ sich von jungen Grafikdesignern Menükarten servieren – Vorgabe: Die Karten sollen „eine fröhliche Stimmung“ vermitteln

Als Vorgericht Wildgeflügelessenz mit Pistazienklößchen und Profiteroles. Anschließend pochiertes Seezungenröllchen „Baron Brisse“ auf Bechamelsauce mit Sherry, Basmatireis. Und zum Schluß gefüllte Baiserblätter mit „Zitronenmousse und frischer Ananas an Saucenvariation“. So liest sich mittags eine Speisekarte des Kreuzfahrtschiffs „ms Europa“.

Die Reederei Hapag-Lloyd setzt auf kulinarische Genüsse, auch wenn die deutsche Sprache dabei ordentlich gegängelt wird. Und natürlich auf exklusive Speisekarten. Das seien Sammlerstücke, hieß es am Donnerstag in Bremerhaven auf dem Lidodeck des Luxusliners, als das Kreuzfahrtunternehmen bei Lachshäppchen und Petits Fours und schwerer See das neue Design der Menü- und Getränkekarten für die nächste Saison kredenzte. Warum auch nicht, gesammelt wird heute schließlich alles.

An der Hochschule für Künste Bremen und der privaten Kunstschule Alsterdamm hatte das Unternehmen im März den Wettbewerb „Illustrationen für ms Europa Menükarten“ ausgeschrieben. Die Exklusivität eines Urlaubs auf einem Kreuzfahrtschiff, Komfort und Mobilität oder Abenteuer und exotische Aura von Seereisen sollten bei den Entwürfen im Mittelpunkt stehen, so die Ausschreibung. Die Nachwuchsdesigner sollten sich in das „Produkt ms Europa-Kreuzfahrt“ hineindenken, hieß es, und Deckblätter entwerfen, die „eine fröhliche Stimmung vermitteln“.“Foodmotive“ wie Hummer und Fisch waren der Reederei dabei zu lapidar.

Ohne jemals einen Fuß auf ein Kreuzfahrtschiff gesetzt haben, hatten sich seitdem mehr als 200 StudentInnen für die Eßgenüsse des größten deutschen Luxusliners den Kopf zerbrochen. „Die Vielzahl der Arbeiten traf uns völlig unerwartet“, so ein Reederei-Chef.

Was bei Hapag-Lloyd unter Nachwuchsförderung läuft, ist freilich eine kostengünstige Lösung. Die Entwürfe einer etablierten Agentur wären mit Sicherheit sündhaft teuer gewesen. Immerhin: Die Siegerin darf nun 2000 DM Taschengeld auf einer neuntägigen Kreuzfahrt zu den Kanaren verbuttern.Nach verbindlichen Worten des Kapitäns im rundum verglasten Club Belvedere schließlich artiges Händeschütteln und Blumenstrauß für Inken Hemsen. Drei Tage lang hatte die 25jährige an einem Papierschiffchen herumgebastelt, um es schließlich vor sternklarem Nachthimmel auf einer Erdkugel mitten im Pazifischen Ozean zu montieren, zu fotografieren und mit dem Farbkopierer zu vervielfältigen.

Mit ihrem Beitrag, der das noble Passagierschiff bewußt in ein naives Papierschiff verwandelt, hat die Schülerin des Bremer Grafikdesigners Fritz Haase alle anderen Linolschnitte, Aquarelle, Gemälde und Collagen mit Vogel- und Schiffsmotiven weit abgehängt. Trotzdem werden 1996 neben ihrem Entwurf „Fünf Sterne und Meer“ elf weitere Motive der Hamburger und Bremer KunststudentInnen die „Europa“-Karten dekorieren.

Nicht alle SchülerInnen und DozentInnnen waren freilich zufrieden mit den Ergebnissen der Jury aus Geschäftsführung der Reederei, Passagieren und Kunstsachverständigen. Erfolg hatte nach Ansicht des Leiters der Kunstschule Alsterdamm letztendlich doch nur, was schön bunt und gefällig ist: „Freche und abstrakte Lösungen kamen erst gar nicht in die engere Wahl. Arbeiten mit intellektuellem Witz blieben auf der Strecke. Ganz offensichtlich wurden nur Dinge ausgewählt, die dem Kunden auf Anhieb gefallen.“

Zufrieden zeigte sich hingegen der Bremer Dozent Haase mit dem neuen Trend zur Handarbeit im Grafikdesign: „Glücklicherweise wurde hier sehr wenig mit dem Computer gearbeitet, der ja die sinnliche Wahrnehmung sehr stark einschränkt.“ Bei seinen StudentInnen sei das Projekt mit Begeisterung bearbeitet worden, weil hinsichtlich Motiv, Technik und Format kaum Vorgaben gemacht wurden.

„Ich finde das Thema sehr illustrativ“, berichtete die Bremer Studentin Silke Tessmer, während ihr im Bordrestaurant ein Filet vom Charolais-Rind im Pilzmantel mit Madeirasauce, Bohnenbündchen, Perlkarotten und Herzoginkartoffeln gereicht wurde. „Sofort habe ich an Figuren wie den an Bord herumlaufenden Koch und den Schmetterlingsfänger gedacht.“

Sabine Komm