Neustes von der Schlampenfront

■ Seit der Eröffnungspremiere hält Barbara Bilabels „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ Hof im Bremer Theater.

Gab es Punks im königlichen Polen? Barbara Bilabel meint: Ja. In ihrer Inszenierung von Witold Gombrowicz „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ wird die Protagonistin zur Verweigerungsfigur.Weder den Hofknicks noch Konversation beherrscht sie. An diesem Königshof schockiert man die zierlichen Hoffräuleins mit der ultimativen Schlampen-Girlie-Show.

„Yvonne, die Burgunderprinzessin“ entstand im Jahre 1935. Witold Gombrowicz erzählt in seinem Erstlingswerk die Parabel von Yvonne, einer unappetitlichen jungen Frau am Hofe, der es durch ihre Unangepaßtheit gelingt, das starre System zusammen brechen zu lassen: Durch Apathie zur Anarchie lautet das Credo dieser weiblichen Kaspar-Hauser-Figur.

Regisseurin Barbara Bilabel, am Bremer Theater schon bekannt durch Elfriede Jelineks „Krankheit der Frauen“, geht mit Gombrowicz Stück auf eine lange Reise in die polnische Provinz. Am Königshof scheint die alte Ordung noch in Takt: König Ignaz und Königin Margarethe repräsentieren im Kreise ihrer Schranzen. Nur Prinz Phillip langweilt sich, wie Prinzen das so tun. Sein neuester Spleen: Statt weiter mit den langbeinigen Hofdamen herumzuschäkern, hat er sich Yvonne, ein unattraktives Mädchen aus dem Volke in Kopf gesetzt. Nicht aus Liebe, sondern aus reiner Provokation macht er sie zu seiner Braut. Die Rechnung geht auf, besser als erwartet. Yvonne macht ihre Sache so schlecht wie möglich.

In Gombrwicz absurdem Stück führt das „sitzengebliebene“ Mädchen aus den untersten Schichten alle Erwartungen an gefällige Weiblichkeit ad absurdum. Schwer wie ein Kartoffelsack läßt sie sich auf das Thronsesselchen fallen. Ihre Trägheit, die von einem anderen Stern zu kommen scheint, bringt den Hofstaat bald vollkommen durcheinander. Statt sich bei der Begrüßung vor dem Königspaar zu verbeugen, erstarrt sie zum Holzklotz und läßt alle warten. So erreicht sie letztendlich, daß die Ungeduligen sich vor ihr verbeugen und schon haben sich die Machverhältnisse verkehrt.

So schlicht die Story von der Entlarvung der Maske der Herrschaft ist und so oft gesehen - Barbara Bilabels Inszenierung motzt die olle Kamelle über Strecken noch einmal auf. Geradezu slapstickhafte Momente entstehen, wenn Dirk Plönissen als Prinz Philipp in der Standardgeste des spätpubertären Narzis die fettige Spaghettimähne über die Schulter wirft. Ein Glam-Rockstar im Leopardenanzug ist auf dem besten Wege der Marc Bolan des Bremer Theaters zu werden.

Aus einer völlig anderen Welt zaubert Gabriela Maria Schmeide ihre Yvonne. Stoisch wie ein Zen-Mönch in ihrem massigen Körper, scheint sie die Hektik des höfischen Opportunismus um sich herum gar nicht wahrzunehmen. Auf radikale Slowmotion reduziert, cruised sie gemächlich wie ein Öltanker durch die Fußgängerzone. „Ihr Blut ist träge, deshalb ist sie so apathisch. Im Sommer führt das zu muffigen Gerüchen.“ Gabriele Maria Schmeide gibt ihrer Yvonne eine Bühnenpräsenz, die sie in jeder Sekunde zu einer Provokation macht. Durch diese extreme Interpretation der Außenseiterin erzielt sie etwas schier Unwiderstehliches: einen Vakuumeffekt. Und was ist magnetischer als der Entzug.

Aber auch unser Blut wird träge. Denn trotzdem zieht sich der Abend hin. Diese Gesellschaftkritik ist so abgespielt, daß auch die kosmetische Chirugie dies scheintote Stück nicht mehr lebendig macht. Das rettet auch das ebenfalls von Barbara Bilabel gestaltete Bühenbild nicht mehr. Allerdings verstärkt die Regisseurin so den Zug ins Absurde. Im zentralen Königssaal öffnen sich drei große trapezförmige Flügeltüren: Von Innen mit plüschigem Samt gepolstert, erinnern sie an das Metropolis- Filmset. Geht das Abendlicht aus, scheinen Graf Drakulas Vampire durch diese Sargdeckel zu fliegen. So weit zu den optischen Phantasien.

Doch leider gibt es einen Text, der die Geschichte mit größtem Bierernst verfolgt. Und da muß es natürlich zum Äußersten kommen: Mit großem Tara nur, meint Witold Gombrowicz, könne man sich einer solchen Yvonne am Hof entledigen. Diverse Pläne zur Beseitigung der störenden Fremden kommen probeweise zur Anwendung. Messer blitzen, im Schlaf soll sie erstochen werden, letztendlich hat die absurdeste Variante Erfolg. Die tolpatschige Braut erstickt an einem grätenreichen Fischmahl. Und der ganze Hof steht herrum, beobachten ihren Todeskampf. So entledigte man sich vor 60 Jahren eines unliebsamen Gesellschaftsmitgliedes. Bei solch sozialkritischer Plumpheit hilft nur der alte Kampfspruch der Punker: Null Bock.

Susanne Raubold

Nächste Vorstellungen: 5., 7., 8. um 20 Uhr im Schauspielhaus