Aufklärung durch Schrecken

Zwischen Internationale und international style: In Düsseldorf werden Siqueiros und Pollock gezeigt  ■ Von Harald Fricke

Die Kunst der Moderne hat sich in alle Regionen ausgebreitet. Das macht ihre Rekonstruktion so beschwerlich. Jede Großstadt hat heute ihren eigenen Jackson Pollock, seine Bilder hängen in Washington, Los Angeles und New York, in London, Stockholm, Paris oder Venedig. Und nicht nur im Westen, noch wartet die Düsseldorfer Kunsthalle auf ein 2,43 mal 6 Meter großes Wandbild von 1943, das abholbereit beim Zoll in Teheran lagert (der Schah hatte es von Peggy Guggenheim erworben). Daß dieses Mammutunternehmen halbwegs gelungen ist – 24 groß- bis mittelformatige Ölgemälde und an die 40 weitere Bilder und Zeichnungen wurden aufgetrieben –, sagt auch etwas darüber aus, wie souverän und ungebrochen der international style trotz nationaler Abschottungen und rückläufigem Markt weiter zirkuliert. Mit einer kleinen Einschränkung: Da das Museum of Modern Art gemeinsam mit der Londoner Tate Gallery eine Pollock-Retrospektive zum Jahrtausendende plant, werden Hauptwerke wie „Autumn Mist“ oder „No. 1“ von US-amerikanischen Sammlungen aus konservatorischen Gründen nicht mehr verliehen.

Bei dem Mexikaner David Alfaro Siqueiros gestaltet sich die Zusammenführung ebenfalls kompliziert. Vereinzelte Bilder kommen aus Venezuela oder Uruguay, und zwei aus Kuba, wobei der Maler mit einem seine Hotelrechnung beglichen hatte. Der Rest der 50 Zeichnungen und Gemälde stammt aus Mexiko, das im nächsten Jahr den 100. Geburtstag des Malers feiert. Die Arbeiten jedoch, mit denen Siqueiros berühmt wurde, sind nur in Studien und Entwürfen dokumentiert: Von seinem 1932 entstandenen „Tropisches Amerika“ an der Fassade des Plaza Art Center, Los Angeles, existiert lediglich eine unscharfe Schwarzweißfotografie im Katalog. Desgleichen die allegorischen Wandbilder in Mexiko-Stadt – „Patrizier und Vatermörder“ im Zollgebäude von Santo Domingo, „Für einen vollständigen Arbeitsschutz aller Mexikaner“ im Hospital de la Raza oder der „Raum der Revolution“ im Nationalen Museum für Geschichte. Alles zu Ehren der Arbeiterklasse geschaffen, für die Kommunistische Internationale, im Glauben an den Sieg der Revolution. Schon deshalb muß Siqueiros trotz seiner Rolle innerhalb der lateinamerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts unzugänglich bleiben.

Warum also Vergleiche zwischen den Meistern des Abstrakten Expressionismus und des Agitprop-Realismus ziehen, wenn wesentliche Beispiele fehlen? Jürgen Harten wollte als verantwortlicher Kurator der Kunsthalle keine Analyse zweier einander gegenübergestellter Stile betreiben. Vielmehr könne man in der historischen und biographischen Aufarbeitung durch die jeweiligen Haltungen „Ähnliches in der Differenz“ erfahren. Das klingt nach behutsamer Annäherung, jenem arg strapazierten Topos der Begegnung mit dem Anderen, und läßt sich in keinem der vier Räume plausibel einlösen.

Chronologisch sind im unteren Geschoß ein Dutzend Pollocks aus der Frühphase gehängt, kleine bäuerliche Szenen, futuristische Körperstudien und surreale Kompositionen mit indianischem Einfluß. Sie zeigen, daß Pollock seine Franzosen und Spanier gekannt hat – Picasso war für ihn zeitlebens der wichtigste Kontrahent – und ebenso vertraut war mit den Mythen Amerikas. Ein typisches Bild dieser Zeit ist „The Moon-Woman Cuts The Circle“, 1943. Dort treffen aggressive Farbecken und federgeschmückte Totemfiguren aufeinander. Selbst im Übergang zu den späteren „Drippings“ tauchen Mitte der vierziger Jahre noch die ornamentalen Muster des North-West-Pacific auf. Oder Kalligraphien: Auf dem rosagrundierten „Untitled“ (1951) ist die Tusche wie von einem Schriftkundigen aus Asien über das Papier geschüttet worden.

Auch Siqueiros war von Europa beeinflußt. Seine „Maria Asúnsolo“ steigt die Treppe herunter wie Duchamps Akt von 1912 – nur eben nicht kubistisch zersplittert, sondern als schöne naturalistische Einheit. In den dreißiger und vierziger Jahren paßt sich der mexikanische Maler der sowjetischen Parteilinie an, die Bilder werden sozialistisch, realistisch und monumental. Zugleich eignet er sich die Blow-up-Technik US-amerikanischer Werbe-Billboards an. Das Leid der Massen wird zum ständigen Thema: Menschenknoten strecken die Arme hilflos empor, während Faschismus und Kapital die letzten Zufluchtsorte niederbrennen, wie 1936 auf dem reliefartigen „Das Ende der Welt“. Siqueiros' Bilder sind Bühnen, auf denen sich das jüngste Gericht der Vernichtung abspielt, wenn nicht der Sozialismus siegt. Aufklärung durch Schrecken, der sich in Mexiko an ein tiefreligiöses Publikum richtet.

Dennoch bleibt Siqueiros modern. Er experimentiert mit den Errungenschaften des Films (etwa dem Close-up bei einem Selbstporträt von 1939) und neuen Farben wie dem schnelltrocknenden Pyroxilin. Die Bilder werden dynamischer, die Farbverläufe vom Zufall gesteuert. Es dient der Verführung – die Energie, mit der die Oberfläche aufgeladen ist, täuscht über die statische Konstruktion der Figuren hinweg. Es hilft vor allem, den riesigen monochromen Farbflächen der Wandbilder Volumen und Plastizität zu geben.

Bei Pollock ändert sich die Intensität der Farben ebenfalls mit der Chemie. Er benutzt Duco- Lacke aus der Automobilindustrie, die transparent durchschimmern, wenn er sie in dünnen Schichten aufträgt. Dann wieder nimmt er Aluminiumfarbe und ertränkt seine Bilder in einem silbernen All-over. Mitunter klappt es mit der Abstimmung nicht, und die Farben bleiben merkwürdig flatterhaft und stumpf wie auf dem drei Meter langen „No. 10“ von 1949. Die glücklichen Momente aber überwiegen: Auf „Galaxy“ (1947) ist jener Zustand der Raserei ins Bild gesetzt, den Robert Motherwell so sehr bewunderte; „Reflection of the Big Dipper“ aus dem gleichen Jahr bricht ein überwältigendes Farbenspiel mit Leichtigkeit auf – als müßte Pollock nur ein Fenster öffnen, damit das vielzitierte „Unbewußte“ herausspringt. Zuletzt erzeugt „Phosphorescence“, ebenfalls von 1947, diesen Rausch der Fläche, für den Pollock berühmt wurde. Keine Farbschicht läßt sich zurückverfolgen, überall stechen weiße und gelbe Spritzer hervor, die im gleichen Augenblick von der anderen Seite durch die Leinwand zu brechen scheinen – 20 Jahre danach wird Jim Morrison etwas Ähnliches besingen: „Break on through to the other side“. Auf „Phosphorescence“ hat Selbsterfahrung bereits zu ihrem Happeningcharakter gefunden. Danach ist sogar das gewaltige „Number 32“ eine eher routinierte Angelegenheit, meisterlich komponiert und durchgearbeitet. Und das auf Glas realisierte „No. 29“, eine Arbeit mit Drahtgeflecht und kleinen Glasmurmeln, bleibt blanker Kitsch. Siqueiros' Erlösungsszenen hat man derweil fast vergessen.

Pollocks und Siqueiros' Revolutionen lassen sich nie so versöhnen, wie der Parcours es vorgibt. Hier der Wilde aus dem Westen mit seinen Exzessen, dort der experimentierfreudige, doch disziplinierte Propagandamaler mit dem Gespür für die apokalyptische Dramatik des Katholizismus; und als Trennwand dient im Obergeschoß ein Paravent mit Fotos von Edward Weston, dessen versteppte Landschaften aus den dreißiger Jahren in ihrer archaischen Kargheit den Hintergrund zu beiden Welten hätten abgeben können.

Weil die Exponate sich den Argumenten allenfalls allgemein oder eben nur gegenstrebig fügen, gibt es einen zweibändigen Text- Schuber, in dem das Leben der Maler nach Parallelen abgesucht wird. Pollock, der grimmige Exzentriker aus Wyoming, hat Probleme mit der dominanten Mutter und muß seiner Kastrationsangst – so heißt es bei Ellen G. Landau – schon früh mit phantasmagorischen Darstellungen Abhilfe schaffen. Anfang der dreißiger Jahre schließt er sich in New York einer Volksfront-nahen Künstlergruppe an (wie Mark Rothko oder Arshile Gorky übrigens auch). Dort begegnet er Siqueiros, der als Revolutionär und echter Aktivist verehrt wird, bei einem Workshop. Der Mexikaner hat zu dieser Zeit bereits nach dem Zufallsprinzip Farbe auf die Leinwand geschleudert. Doch das kennt Pollock bereits vom Automatismus der Surrealisten, und er zeigt sich mäßig beeindruckt: „I don't believe in accidents“. Sie trinken zusammen und prügeln sich betrunken unter dem Tisch. Es bleibt ihr einziges Zusammentreffen. (In den sechziger Jahren wiederholt sich dieses Schauspiel zwischen weißen, „radical chic“-Künstlern und der Black- Panther-Bewegung.)

Als die Sowjetrevolution endgültig im Stalinismus niedergeht, zieht sich Pollock erneut aufs „Unbewußte“ zurück. Er tropft Farbspuren auf die Leinwand, um „eine innere Welt auszudrücken – Energie, Bewegung und andere innere Kräfte“. Damit trifft er nach dem Krieg den Nerv einer Zeit, die „das Flugzeug, die Atombombe, das Radio nicht in den alten Formen der Renaissance oder sonst einer vergangenen Kultur ausdrücken“ kann. Pollock malt die Auflösung der Welt und hält doch zugleich im Bild an ihr fest.

David Alfaro Siqueiros ändert sich zeitlebens nicht. Als Achtzehnjähriger tritt er in Mexiko der revolutionären Bewegung gegen die Huerta-Regierung bei. Nach ihrem Sieg wird Siqueiros Militärattaché in Paris, wo er die Künstler des Kubismus kennenlernt und gegen die Bohème hetzt. Zurück in Mexiko arbeitet er als Gewerkschafter für die kommunistische Partei, während er nebenher mit den ersten großen Wandbildern beginnt. Fast scheint es, als könne der Künstler in seiner Doppelfunktion aufgehen. Siqueiros, 1932: „Ich ergreife Partei dafür, daß Malerei und Bildhauerei dem Proletariat in seinem revolutionären Klassenkampf zu dienen haben, halte aber die Theorie der reinen Kunst für das höchste ästhetische Ziel. Ich füge hinzu, daß es eine so geartete Kunst bis heute in der Welt noch nicht gegeben hat und daß sie nur in einer Gesellschaft ohne Klassenkampf, das heißt ohne Politik, existieren könnte, also in einer uneingeschränkt kommunistischen Gesellschaft.“ Doch die Partei begnügt sich nicht mit schönen Worten. Acht Jahre später ist Siqueiros an einem Attentat auf Trotzki beteiligt, für das er zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt wird. Als die Ermordung wenige Monate später einem anderen Kommando glückt, hat Pollock sich längst für Freud statt Marx entschieden.

„Siqueiros–Pollock / Pollock–Siqueiros“, bis 3. 12. in der Kunsthalle Düsseldorf. Der Katalogschuber kostet 75 DM.