Unzureichende Sicherheitsforschung

Der Streit um die Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen nimmt zu  ■ Von Wolfgang Löhr

Einige schwärmen schon von einer zweiten „Anti-AKW-Bewegung“. Sah es in den letzten Jahren fast schon so aus, als wenn der Streit um die Gentechnik langsam versanden würde, formieren sich an den Standorten für Freisetzungen von genmanipulierten Organismen neue Protestgruppen. Erstmals seit Jahren trafen sich an diesem Wochenende über 200 Genkritiker zu einem bundesweiten Kongreß, „geGEN“, im hessischen Friedberg, um sich über die Risiken und Gefahren der Freisetzungsexperimente auszutauschen.

Unerwartete Unterstützung bei der Werbung für den Kongreß, zu dem unter anderem das Gen-ethische Netzwerk (GeN), der Bund für Umweltschutz und Naturschutz und das Ökoinstitut Freiburg geladen hatte, bekamen die Genkritiker aus Bonn. Forschungsminister Jürgen Rüttgers nutzte in den letzten Tagen jede Gelegenheit, um auf den Kritiker- kongreß hinzuweisen. Erst drohte er dem hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel in einem Brief an, die Forschungsgelder für Hessen zusammenzustreichen. Der Grund: 5.000 Mark an hessischen Lottomitteln, die zu Unterstützung an die Veranstalter geflossen sind. Wenige Tage später wiederholte der Forschungsminister seine Drohung in Berlin: „Ich bin deshalb nicht mehr bereit, Gentechnik- Projekte in Hessen zu unterstützen.“

34 Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen, in der Mehrzahl Herbizid-resistente Nutzpflanzen der Hoechst-Schering-Tochter AgrEvo (Agrar Evolution), seien in Deutschland für dieses Jahr geplant gewesen, zählt Henning Strodthoff vom Berliner Gen-ethischen Netzwerk auf dem Kongreß in Friedberg auf. „An allen Standorten sind lokale Initiativen aktiv, die sich gegen die Freisetzungsexperimente wehren“, berichtet der Biologe, der seit über einem Jahr für die Koordination der Protestgruppen zuständig ist. Zwei davon, in Wölfersheim, Hessen, und in Buggingen, Südbaden, verhinderten Freisetzungsgegner, indem sie kurzerhand den Acker besetzten. Fünf Experimente mußten vorzeitig abgebrochen werden, weil die Pflanzen von Versuchsgegnern heimlich ausgerissen oder abgeschnitten wurden.

Dabei geht es schon gar nicht mehr um die einzelnen Freisetzungsexperimente. „Sie sind nur der Kristallisationspunkt“, meint Gertrud Amrein von den Kongreßveranstaltern. Die Industrie steht kurz davor, auch in Europa die ersten genmanipulierten Pflanzen als Nahrungsmittel in den Handel zu bringen. In der Europäischen Union sei erst eine genmanipulierte Pflanze zugelassen, Gentech-Tabak der französischen Staatsfirma Seita, berichtete die Vertreterin des Umweltbundesamtes, Ingrid Nöh. Weitere Genehmigungsverfahren laufen aber derzeit noch. So hat der Chemie- Multi Ciba Geigy vor kurzem erst in den USA die Handelserlaubnis für genmanipulierten Mais erhalten. Die gleiche Sorte will der Konzern jetzt auch in Europa vermarkten. Vom Chemie-Unternehmen Monsanto liegt in Brüssel ein Antrag für Soja vor, die belgische Firma Plant Genetic System will eine Rapssorte vermarkten und das niederländische Saatgutunternehmen Bejo Zaden manipulierten Radiccio-Salat. Einig sind sich alle Experten, daß mit dem Sprung vom kleinen Versuchsacker zum unbegrenzten großflächigen Anbau der genmanipulierten Pflanzen auch die damit verbundenen Risiken zunehmen werden. Mit der Anzahl der freigesetzten Pflanzen steigt auch die Wahrscheinlichkeit, daß eine – bisher noch „hypothetische“ – unerwünschte Begleiterscheinung real wird. Was dabei passieren könnte, hat die Bodenökologin Elaine Ingham von der Oregon State University in Corvallis, USA, untersucht. Sie trug in Friedberg ihre neuesten, noch unveröffentlichten Forschungsergebnisse vor. Ihr Untersuchungsobjekt war ein an der Kernforschungsanlage Jülich manipulierter Bakterienstamm, Klebsiella planticola, der in der Wurzelzone von Pflanzen lebt. Die Jülicher Forscher hatten das Bakterium so verändert, daß es pflanzliche Abfallstoffe zu Alkohol abbauen kann.

In Laborversuchen fand die US- Professorin jetzt heraus, daß die Gentech-Bakterien entgegen der Erwartung auch das Wachstum von Weizenpflanzen beeinträchtigen kann. Einige der Pflanzen in ihrem Labor wurde so geschädigt, daß sie abstarben. Ingham warf den Genehmigungsbehörden vor, daß die bisher angewandten Methoden zur Risikoabschätzung nicht ausreichen würden. Die schädigende Eigenschaft der Klebsiella-Bakterien wäre ihnen damit nicht aufgefallen.

Barbara Weber, Gentech-Expertin vom Freiburger Ökoinstitut, geht noch einen Schritt weiter. Sie meint, daß in der Regel selbst die besten Untersuchungsmethoden keine endgültige Aussage über die Gefahren zulassen, denn bei jeder Freisetzung sind die Umweltfaktoren anders. Deshalb könne man nicht einfach die Ergebnisse von einem Experiment auf das nächste übertragen.

In Wölferheim stellen sich die Feldbesetzer jetzt auf einen kalten Winter ein. Währenddessen wagte der Forschungsminister – mit der Gewißheit, daß der „alternative Rüttgers-Club“, so eine Genkritikerin, in Friedberg versammelt ist – am Freitag eine Besichtigung des Freisetzungsacker der Technischen Hochschule Aachen. Er wolle zeige, „daß er keine Angst vor Gentechnik-Gegnern habe“.