■ Nebensachen aus der libyschen Wüste
: In Rabta werden Pillen gedreht

Leiden Sie unter Kopfschmerzen? – Wie wäre es mit einer Kapsel „Rabtamol“? Ist Ihr Dickdarm etwas träge? – Nehmen sie doch ein wenig „Rabtaklel“.

Erinnern Sie sich? Damals, in den 80er Jahren, machte in der internationalen Presse das böse Wort von „Auschwitz im Wüstensand“ die Runde. Der unberechenbare Muammar al-Gaddafi wolle in Libyen eine Giftgasfabrik errichten, behaupteten US-amerikanische Geheimdienstler. Der Name des Mörderkomplexes: Rabta. Angeblich eine Horrorküche zur Produktion von Lost, Sarin, Tabun und ähnlichem international geächtetem Zeugs, bestimmt zur Vernichtung Israels.

Nun hat Gaddafi spät den Beweis seiner Unschuld geliefert. Doch – oh weh! – kaum jemanden interessiert es. Ende September wurde Rabta endlich eingeweiht: als harmlose Pharmafabrik! So, wie die libysche Führung es immer angekündigt hatte. 60 Kilometer südlich von der Hauptstadt Tripolis signalisierten ausgestellte Pillendosen, Hustensaft- und Shampooflaschen, daß der deutsche Imhausen-Chemie-Manager Jürgen Hippenstiel unschuldig hinter Gitter mußte, daß die damals bundeseigene „Salzgitter AG“ fälschlich unter Verdacht geriet und daß US-amerikanische Grenadiere einst ein rein ziviles Objekt ins Visier nahmen.

Abseits von jeglicher Zivilisation, dort, wo die libysche Steppe langsam in die Sahara übergeht, werden seit zwei Wochen brav Pillen gedreht. Zugegeben, die Anlage wirkt etwas martialisch: Einen ganzen Berg haben libysche Ingenieure trichterförmig ausgehölt und in den künstlichen Krater Fabrikhallen, Röhren und Reaktionsbehälter gesetzt. Und weil das Ganze auch richtig solide sein soll, wurden die Berghänge nach innen mit meterhohen Lagen von Sandsäcken verstärkt.

Aber solche architektonischen Besonderheiten sollten die zur Eröffnungszeremonie angereisten Gäste nicht stören. Wer einen etwa 100 Meter langen Betontunnel durchschritten hatte – den einzigen Zugang zur Fabrik – wurde auf der anderen Seite von gutgelaunten PharmazeutInnen begrüßt. „Alles hier ist für die Gesundheit“, priesen weißbekittelte LibyerInnen die neuesten Errungenschaften von Gaddafis Pharmaindustrie und überreichten den Besuchern Probepackungen von Medikamenten, „auch für den Export!“. An Informationsständen, von deren Decken Medikamentenpackungen baumelten wie am Weihnachtsbaum, gab es Aufkleber und Prospekte: „Rabtamol“, „Rabtaklel“ ...

Dennoch gab es Spielverderber: Das diplomatische Corps blieb dem Ereignis trotz Einladung weitgehend fern. Nur einige arabische Botschafter wurden gesichtet. „Zu peinlich“ sei die Veranstaltung für Deutschland, hieß es unter der Hand aus Bonns diplomatischer Dependance in Tripolis. Journalisten waren ebenfalls rar. Ein aus Kairo angereister Kollege konnte so von drei ihn ständig umkreisenden libyschen Geheimdienstlern herumgeführt werden. Und als ein portugiesischer Fotograf die falschen Röhren ablichtete – „unwissentlich“, wie er beteuerte –, nahmen ihm gleich fünf Männer den Film aus der Kamera. Industriespionage gibt's halt auch in Libyen nicht!

Und wo können Sie nun die pharmazeutischen Errungenschaften aus der libyschen Wüste kaufen? Nachfragen in heimischen Apotheken ergaben: Noch hat das Wissen nicht die Runde gemacht. „Rabtamol“, „Rabtaklel“? – Fehlanzeige. Aber Geduld! Mit internationaler Ignoranz haben die libyschen Techniker offensichtlich gerechnet. Vier gigantische Lagerhallen haben sie in Rabta errichtet, Stauraum für Milliarden Tabletten. Dort können die bunten Pillen die nächsten Jahre oder Jahrzehnte liegen, bis die Welt endlich begriffen hat: In Rabta steht „Bayer Leverkusen im Wüstensand“. Thomas Dreger