: Wiesenthal: Grubbe soll getötet haben
■ Der DDR-Autor Werner Steinberg hatte über die NS-Vergangenheit des Journalisten Peter Grubbe informiert - auch den "Stern", sagt Frau Steinberg. Simon Wiesenthal: Es gibt belastendes Material
Stuttgart (taz) – Der Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Simon Wiesenthal, hat in einem Interview des Norddeutschen Rundfunks dem Journalisten Peter Grubbe vorgeworfen, als Kreishauptmann von Kolomea direkt an der Tötung von Juden beteiligt gewesen zu sein – die taz hatte vergangenen Freitag in einem Report über Grubbes Vergangenheit berichtet. Wiesenthal zitierte aus einer Zeugenaussage, wonach der heute 82jährige Grubbe eine Jüdin erschossen habe.
Diese Zeugenaussage aus dem Jahr 1947 lag auch der Staatsanwaltschaft in Darmstadt vor, die 1963 ein Vorermittlungsverfahren gegen Grubbe wegen Mord und Beihilfe zum Mord einleitete, dies aber nach sechs Jahren aus Mangel an Beweisen wieder einstellte. Wiesenthal sagte nun, er verfüge über weiteres umfangreiches Material, das Grubbe belaste.
Viele Jahre arbeitete der auf Kriegsverbrecherlisten gesuchte Claus Volkmann unter seinem Pseudonym Peter Grubbe als Journalist für angesehene Zeitungen und Zeitschriften der Bundesrepublik, so für die FAZ, die Welt und zuletzt für den Stern und die Zeit. Selbst enge Freunde und Kollegen wußten nichts von seiner Vergangenheit.
Lediglich dem ehemaligen Chefredakteur und späteren Herausgeber des Stern, Henri Nannen, habe er von seiner Funktion als Kreishauptmann von Kolomea (Ostgalizien; heute Ukraine) erzählt, sagte Grubbe in einem Gespräch am 25. Januar 1987 gegenüber dem Autor.
Lediglich Grubes Freundin wurde verhaftet
In einer eidesstattlichen Erklärung (siehe taz vom Samstag) widersprach Nannen dieser Darstellung. Er habe „von angeblichen Verfehlungen“ Grubbes während des Krieges nichts gewußt. Die taz entschuldigte sich bei Nannen.
Aber: Hätte Nannen es wissen können? Bereits 1968 wies der in Dessau lebende Schriftsteller Werner Steinberg die Stern-Redaktion Hamburg auf die wahre Identität ihres Mitarbeiters hin.
Steinberg, Herausgeber der nach dem Krieg erscheinenden Jugendzeitschrift Die Zukunft, hatte Grubbe 1946 kennengelernt und ihn zum Mitarbeiter der Zeitung gemacht. Grubbe schrieb seine ersten Berichte über Kinder, die im Krieg zu Waisen wurden. Als Steinberg Verdacht schöpfte und den wahren Namen erfuhr, zeigte er Volkmann/Grubbe bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft an.
In seinen 1987 verfaßten Erinnerungen schreibt Werner Steinberg: „So kam es zur Hausdurchsuchung in Botnang (bei Stuttgart) und an zwei weiteren Wohnorten Grubbes, wobei umfangreiches Material gefunden wurde: Briefbogen der amerikanischen und französischen Besatzungsmacht und deutscher Dienststellen, zum Teil unterstempelt und unterschrieben“ – brauchbar für eine neue Identität.
Grubbe sei damals gewarnt worden, so Steinberg, und rechtzeitig erst in die englische Besatzungszone und von dort nach London zu seiner Schwester geflohen. So wurde lediglich die damalige Freundin Grubbes verhaftet und wegen Urkundenfälschung zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt.
Werner Steinberg, der 1954 in die DDR übersiedelte, schrieb 1968 den Kriminalroman „Und nebenbei ein Mord“. Darin verarbeitete er die Begegnung mit Grubbe/ Volkmann in fiktiver Weise. Deutlich wird das Buch im Klappentext. Darin heißt es tückisch: „Mögliche Übereinstimmungen von Handlungen und Personen mit der Wirklichkeit sind rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt. Dies gilt auch für die Gestalt des Peter Grob, die sich nicht, wie man irrigerweise vermuten könnte, mit der Person des westdeutschen Journalisten Peter Grubbe deckt.“
Zusammen mit einem Begleitschreiben schickte Steinberg seinen Roman an die Stern-Redaktion nach Hamburg. Die Frau des 1992 gestorbenen Schriftstellers kann sich genau erinnern, die Sendung eigenhändig zur Post gebracht zu haben: „Mein Mann rechnete mit einer Reaktion. Aber eine Antwort erhielt er nie“, sagte sie am Wochenende zur taz.
Literarischer Fingerzeig nicht wahrgenommen
1983 wurde der Roman neu aufgelegt. In einem Nachwort wird darin auf die NS-Vergangenheit von Claus Volkmann nochmals hingewiesen. „Ich hoffte“, schrieb Steinberg später, „daß dieser Fingerzeig genügen würde, um westdeutsche Redakteure aufmerken und Konsequenzen ziehen zu lassen.“ Das tat es aber nicht.
Noch 1989 schrieb Steinberg in der DDR-Literaturzeitschrift Sinn und Form über das Doppelleben des westdeutschen Journalisten Peter Grubbe. Der Aufsatz endet mit dem in der taz am 29. 9. gedruckten Resümee: „Solche Menschen sind gefährlich...“ Philipp Maußhardt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen