„Gedacht wird augenblicklich alles“

■ Sozialressort will über zweite Streich-Liste nichts sagen, muß aber 19 Mio. sparen

„Jedes Jahr geht das so“, klagt Birgit Kausch. Jedes Jahr geht im Herbst die Spardebatte los, und da müssen die „Zuwendungsempfänger“ zittern. Seit 18 Jahren gibt es ein Frauenhaus, in dem von ihren Männern bedrohte Frauen zeitweise Unterschlupf und Hilfe finden. Mitte September stand das Frauenhaus auf einer internen Streichliste des Sozialsenats (vgl. taz 27.9.)

.Als die aufgeschreckten Mitarbeiterinnen nach dem Bericht bei der zuständigen Referentin anriefen und fragten, ob das denn stimme, daß ein Frauenhaus in Gefahr sei, da wurde ihnen zur Antwort gegeben, eigentlich müßten alle Projekte, die jährliche Zuschüsse aus dem Haushalt bekommen, zum Jahresende fristgemäß allen kündigen – vorsorglich, denn bevor die Bürgerschaft den neuen Haushalt nicht verabschiedet, ist nicht verbindlich, ob das Projekt weiter finanziert wird. Und, was Spar-Ideen angeht, geht das Zitat in der Behörde um: „Gedacht wird augenblicklich alles“.

Birgit Kausch ist seit 14 Jahren beim Autonomen Frauenhaus beschäftigt, allerdings nicht unkündbar wie andere Öffentlichen Dienst, sondern jährlich auf Abruf, weil formal bei einem Verein angestellt. Wie andere Zuschuß-Empfänger bekam auch der Frauenhaus-Verein im September einen Brief, in dem mitgeteilt wurde, alle freiwerdenden Stellen sollten eingefroren werden, weil niemand wisse, wie es 1996 weiter geht, und die Vorstellung, daß es tarifähnliche Gehaltserhöhungen geben würde, solle niemand pflegen.

Drogenhilfe, Jugendbildung, Aussiedler – keine Protest-Welle war die Reaktion, sondern stille Resignation, und vielleicht hier und da Telefongespräche mit Leuten aus der Behörde, die man kennt: Jedes der Projekte mobilisiert seine Lobby, jedes für sich.

Der Abteilungsleiter, der das interne Sparpapier im September verfaßt hat, winkt ab: Man befinde sich in einem internen Arbeitsprozeß, vieles, was da als Sparpotential aufgelistet ist, sei nur eine „Zwischenposition“ gewesen und in der zweiten Fassung nicht mehr auf der Liste. Öffentliches Gerede schade nur. Was auf der zweiten Giftliste steht, will der Sozial-Haushälter deshalb nicht sagen. In drei Wochen könnte sich das nämlich schon wieder geändert haben.

Im Umkehrschluß heißt das: „Zuschußempfänger“, die bisher nicht aufgelistet wurden, haben keinen Anlaß, sich zurückzulehnen. Für die für Frauenförderung zuständige Referentin des Ressorts, Stoevesandt, ist allerdings klar: „Bei den Frauenhäusern kann man nichts sparen“. Beide Häuser, für die die Sozialbehörde im Jahr 1,7 Millionen zahlt, seien immer voll belegt, die politische Position, diese Einrichtungen zu schließen, „hält niemand durch“.

Aber wenn es das eine Projekt nicht trifft, könnte es dafür andere treffen. 19,2 Millionen muß das Ressort Jugend und Soziales für den Etat 1996 einsparen. „Auch „unter Inkaufnahme großer politischer Schwierigkeiten und Proteste der Betroffenen“ hatte das Ressort Mitte September nur 7 Millionen gefunden. Und dabei waren finanzielle Folgen des gesetzlichen Anspruchs auf einen Kita-Platz so wenig berücksichtigt wie denkbare Tariferhöhungen. K.W.