Der Koran und die Frauen
: Die Dialektik des Schleiers

■ An keiner Stelle schreibt der Koran eine eindeutige Verschleierung vor. Hat Mohammed vielleicht nur ein modisches Statussymbol weiterempfohlen?

Der Islam ist auch nicht frauenfeindlicher als Christentum oder Judentum. Es ist nur heute in Vergessenheit geraten, daß während des Mittelalters im Abendland neun Millionen Frauen als Hexen verbrannt wurden, derweil im Morgenland Kultur und Wissenschaften aufblühten. Was die rechtliche und religiöse Stellung der Frauen anbelangt, ist der Koran genauso widersprüchlich und je nach Interessenlage interpretierbar wie die Bibel.

Einerseits schwärmte Mohammed für die Frauen und setzte sich für ihre Gleichstellung unter anderem bei Erbschaften ein: „Die ganze Welt ist eine erfreuliche Einrichtung, das erfreulichste in ihr aber ist eine rechtschaffene Frau.“ Andererseits sagt er: „Die Männer haben Vollmacht und Verantwortung gegenüber den Frauen, weil Gott die einen vor den anderen bevorzugt hat und weil sie von ihrem Vermögen (für die Frauen) ausgeben.“

An keiner Stelle aber schreibt der Koran eine eindeutige Verschleierung vor. Der Schleierzwang ist von interessierter Seite hineingelesen worden, unter Berufung auf die Sure 33,53, mit der die Gläubigen zu Lebzeiten Mohammeds ermahnt wurden, nicht ungefragt sein Haus zu betreten: „Und wenn ihr die Gattinnen des Propheten um (irgend) etwas bittet, das ihr benötigt, dann tut das hinter einem Vorhang (Hijab)!“

Fatima Mernissi weist in ihrem Buch „Der politische Harem“ auf den bemerkenswerten Umstand hin, daß der erste Hijab zwischen zwei Männern fiel: der eine war Besucher in Mohammeds Haus, der andere, der Prophet selbst, hatte gerade seine Frau Zainab geheiratet und wollte mit ihr schlicht allein sein. In Sure 33,59 geht es dann weiter: „O Prophet, sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Überwurf (Djilbab) über sich herunterziehen. Das bewirkt eher, daß sie erkannt werden und daß sie nicht belästigt werden.“ Der „Djilbab“ scheint eher ein Mantel als ein Gesichtsschleier gewesen zu sein – die Gelehrten streiten bis heute.

Womöglich hat Mohammed im Jahre 627 nach unserer Zeitrechnung auch nur ein modisches Statussymbol weiterempfohlen. Die reichen und freien Frauen jener Zeit pflegten sich zu bedecken, um sich von den Sklavinnen zu unterscheiden. Mit zunehmender Urbanisierung eiferten reiche Bauern den Städtern nach, verschleierten ihre Frauen und sperrten sie ins Haus. Der Preis war nicht selten massive Verarmung, da die Frauen nicht mehr auf dem Feld arbeiten konnten.

Inzwischen hat sich die Dialektik des Schleiers umgekehrt: In vielen Ländern warfen westlich orientierte Frauen der Oberschicht den Hijab in die Ecke und verließen ihre Verließe, Frauen der marginalisierten Unterschicht hoben ihn auf, skandierten „Dekadenz!“ und zogen ihn wieder an. Ute Scheub