„Heirat? Dann ist alles aus!“

■ Sie ist 18 und überzeugte Muslimin. Sie würde gern Polizistin werden und ist süchtig nach Fußball: Arzu Calkilic, gebürtige Berlinerin mit einer Heimat in der Türkei

„Ehrlich!“, das war mal wieder eine von diesen „voll ungerechten Sachen“. Da hat sie den nötigen Realschulabschluß geschafft, ist mit Ach und Krach über die geforderte Mindestgröße von 1 Meter 60 gewachsen – und dann lehnt die Berliner Polizei ihre Bewerbung ab: „nur weil ich erst in sechs Monaten meinen deutschen Paß kriege“. „Voll ärgerlich“ das Ganze, dabei wäre Polizistin doch Arzu Calkilics Traumberuf gewesen, „so bei Überfällen hinterherzurennen stell' ich mir echt spannend vor. Außerdem ist es wichtig, daß mehr ausländische Leute in der Polizei sind, um den Menschen zu helfen.“

Okay, Menschen helfen kann sie auch, wenn sie nun im nächsten Jahr eine andere Ausbildung beginnt, als Kinderkrankenschwester, aber „voll gemein“ bleibt die Ablehnung trotzdem. Und dann „nervt“ da noch eine zweite Geschichte. Solange Arzu keinen Job gefunden hat, hat die Mutter ihr das Hobby verboten. Hobby? „'ne Sucht ist das wie bei einem Drogenabhängigen!“

Arzu ist süchtig, süchtig nach Fußball. Seit ihrem sechsten Lebensjahr rennt die in Deutschland geborene Türkin dem Ball hinterher, drischt das Leder in den Sechzehnmeterraum und flucht wie ein Weltmeister über jeden Fehlpaß. Arzu spielt „nicht um den Sieg, sondern um die Ehre“, und diese Ehre ist – „voll klar“ – türkisch. Arzu kickt, wenn die Mutter nicht eine pädagogische Sperre verordnet, in Europas einziger türkischer Frauenfußballmannschaft, bei BSC Agrispor in Berlin.

Arzu ist gläubige Muslimin. Jawohl, die Religion ist ihr wichtig. Daß ihre nackten Beine in den Fußballerhosen – strenggenommen – nicht so recht zu den Bekleidungsvorschriften des Koran passen, na klar, das weiß sie selbst. Aber in den Augen konservativer Muslime machen Mädchen wie Arzu ohnehin alles falsch: allein schon, wie sie dasitzt, das eine Bein hochgezogen, hingelümmelt auf die Couch... Und dann die knackigen Levi's, die sie nie und nimmer gegen einen Rock tauschen würde.

Manchmal macht Arzu sich schon Gedanken, ob all die „kleinen Sünden“ nicht eines Tages „doch einmal bestraft werden“. Okay, wenn sie in einem Dorf in der Türkei aufgewachsen wäre, von Kindheit auf an Kopftuch und Augensenken gewöhnt: Aber sie ist in Berlin groß geworden, und sie hat das Glück, Tochter moderner, aufgeschlossener Eltern zu sein.

„In der Türkei wär' ich längst verheiratet worden. Aber Heiraten, Haushalt, Kinder – das sind doch alte Zeiten. Wenn du heiratest, ist das Leben schon zu Ende. Ich hab' doch keine Lust, mir von einem Mann sagen zu lassen, ob ich abends ausgehen darf oder nicht!“ Mit einem Freund wäre das etwas anderes, „aber einem Ehemann mußt du gehorchen“.

Nur, mit einem Freund gibt es dieses andere, dumme Problem: es darf ihn gar nicht geben. Einen Freund würden auch Arzus sonst so freizügige Eltern nicht tolerieren. Arzu würde das mit ihren Kindern – „garantiert!“ – anders handhaben. Aber sie will ja gar keine Kinder, sondern ihr „eigenes Leben“.

An ihrem 18. Geburtstag hat sie der Mutter stolz verkündet: „Mama, jetzt bin ich volljährig, jetzt entscheide ich.“ Nun ja, das hat halt eben doch nur beinahe gestimmt, denn zu Arzus Traum vom eigenen Leben gehört zuallererst eine eigene Wohnung, am liebsten mit einer Freundin. Aber daß Arzu auszieht, das erlauben die Eltern nicht – schon allein, weil die Bekannten dann tuscheln.

Also lebt Arzu weiter in der elterlichen Neubauwohnung in einem Schlauch von Kinderzimmer, den sie mit der kleinen Schwester, ihrem Mountainbike, der türkischen Nationalfahne und Michael Jackson teilt. Wobei der „nach der Sache mit den Kindern eigentlich längst out“ ist. Der neue Favorit heißt CARTEL und ist die türkische Rapper-Gruppe überhaupt. Logisch, daß Arzu die Karten fürs nächste CARTEL-Konzert in Berlin längst in der Tasche hat. Die Eltern haben nichts dagegen, „ich bin sowieso jeden Abend und jedes Wochenende unterwegs – auf Parties oder Feten mit meinen Freunden. Ich muß zu Hause nur sagen, wo ich bin. Meine Eltern vertrauen meinen Freunden.“ Die Freunde sind nur zum geringeren Teil türkischer Herkunft, „das sind Deutsche, Jugoslawen, Albaner – alle Nationalitäten“.

Manchmal träumt Arzu davon, „zurück“ in die Türkei zu gehen, in das Land, das sie nur vom Urlaub kennt und dessen Sprache sie nicht ohne Mühe und Fehler spricht, aber das sie „Heimat“ nennt. „In Deutschland lebe ich gut, aber dort fühl' ich mich zu Hause.“

Doch erst einmal hat die Ausbildung Vorrang, wenn nicht als Polizistin, dann zumindest als Krankenschwester. Und bis dahin gibt es immerhin noch einen anderen Traum, für den Arzu kräftig spart: „Wenn ich meinen Führerschein habe, dann steht am nächsten Tag mein Auto vor der Tür.“ Und es sollte doch mit Gott, Allah oder dem Teufel zugehen, wenn dieses Auto kein Cabrio wär'. Vera Gaserow