: Befreiung aus der rohen, ungeschlachten Masse
■ Der Bildhauer Theo Balden, Mitbegründer des „Freien Deutschen Kulturbundes“, starb 91jährig
Theo Balden, einer der großen deutschen Bildhauer dieses Jahrhunderts, ist tot. Der 91jährige erlag am vergangenen Samstag einem Herzinfarkt. Balden absolvierte in Berlin zunächst eine Ausbildung als technischer Zeichner. Anschließend ging er, der mit zwanzig beinahe Pianist geworden wäre, nach Weimar und studierte am Bauhaus bei László Moholy- Nagy und Oskar Schlemmer. Von seinen frühen Werken haben sich nur wenige Stücke erhalten. Nach einer Verhaftung durch die Gestapo floh der Bildhauer 1935 mit falschem Paß über Prag nach London, wo er die Exilantenvereinigung „Freier Deutscher Kulturbund“ mitbegründete.
1947 kehrte Balden nach Berlin zurück. Damals schuf er eine seiner eindringlichsten Skulpturen: Die Pietà Perversa – ein Soldat trägt seine tote Mutter auf dem Arm, eine eindrucksvolle Umdeutung des alten christlichen Motivs. Daß Balden sich nach dem Krieg im Ostteil der Stadt niederließ, erklärt, warum er in der Bundesrepublik fast unbekannt blieb. Balden war überzeugter Kommunist, seit seinem zwanzigsten Lebensjahr gehörte er der KPD an. Doch auch in der jungen DDR ließ sich der Künstler – der wie beispielsweise Fritz Cremer zu den „Unberührbaren“ der DDR-Kunst zählte – nicht vereinnahmen. Und er holte sich seine Anregungen bei denen, die er – und kein anderer – dafür ausersehen hatte. Bei dem Engländer Henry Moore zum Beispiel, dessen Auffassung von der Beziehung zwischen Skulptur und Raum er adaptierte. „Widerspruch durch Kunstgestalt“, diese Devise hat Balden nie aufgegeben. Das sollte, bei allem Respekt, in der DDR nicht ohne Folgen bleiben. Erst 1970 wurde er, 66jährig, in die Ostberliner Akademie der Künste aufgenommen.
Theo Balden orientierte sich in seiner künstlerischen Arbeit zeitlebens an der menschlichen Figur: „Der wichtigste Gegenstand der Kunst, der Mensch auf dem Wege zum Mensch-Sein, darf nicht abhanden kommen“, schrieb er 1993. Diesem Credo folgte er bis zuletzt, immer auf der Suche nach der Plastik, die „jeder Kritik standhält“. In seinem Spätwerk freilich wandte sich Balden verstärkt den klassischen Themen der Bildhauerei zu. „Der Falkner“ aus der Mitte der achtziger Jahre oder „Statur der Steine“ von 1991 sind Arbeiten, die sein seit jeher latentes Interesse an Mischformen zwischen Realismus und Ungegenständlichkeit dokumentieren.
Bemerkenswert sind auch Baldens Zeichnungen, Vorstufen zu seinen Skulpturen, denen nicht nur eine graphische, sondern auch eine körperliche Qualität eigen ist. In den Studien zu Michelangelos Skulptur am Grab der Medici in Florenz offenbarte sich sein ganzes zeichnerisches Können. Scheinbar ohne Ziel bahnen sich die Linien ihren Weg, bis das Gesicht des steinernen Riesen zu einem ergreifenden, dem Vorbild ebenbürtigen Memento mori wird. In den Blättern der „David und Goliath“-Serie ziehen sich die Striche nervös über die weiße Fläche, ein andermal versah Balden seine Figuren mit einem harten, schneidenden Umriß – ein fernes Echo der Neuen Sachlichkeit, deren Blütezeit er als junger Mann miterlebte.
Unabhängig von den einzelnen Motiven handelten Baldens Zeichnungen und Plastiken stets vom schöpferischen Akt, von der Befreiung der Bilder aus der rohen, ungeschlachten Masse. Ulrich Clewing
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