Das Portrait
: Der Meisterspion

■ Richard Sorge

Richard Sorge wäre heute 100 Jahre alt geworden Foto: taz-Archiv

In westlichen Handbüchern zur Geschichte des Widerstands gegen Hitler taucht sein Name nicht auf, in Ostberlin trägt bis heute eine Straße seinen Namen: Richard Sorge, der unglücklichste Meisterspion des 20. Jahrhunderts. Hätte Stalin seine aus Tokio gemeldete Nachricht vom 12. Mai 1941 nicht in den Papierkorb geworfen, wäre der deutsche Überfall auf die Sowjetunion für die Rote Armee kein solches Desaster gewesen. 170 deutsche Divisionen bereiteten sich für einen Angriff am 20. Juni vor, hatte er berichtet, während in Moskau gleichzeitig der Diktator seinen Topagenten als einen „Scheißer“ beschimpfte, „der sich in Japan mit Huren herumtreibt“. Stalins Ignoranz kostete die Sowjetunion in den ersten drei Kriegswochen mindestens 400.000 Soldaten.

Mehr Wirkung als die insgesamt zehn Meldungen, die Sorge über einen bevorstehenden Angriff der Wehrmacht fertigte, hatte seine im August 1941 abgesetzte Warnung, daß Hitlers Verbündeter Japan nicht an der chinesisch-russischen Grenze in den Krieg eingreifen würde, sondern am Pazifik. Die Information führte dazu, daß Stalin seine Truppen aus der Mandschurei abzog und sie vor Moskau gegen Deutschland konzentrierte. Vor allem diese – weil folgenreichste – Nachricht begründete später Richard Sorges Ruhm als Meisterspion in der Sowjetunion. Posthum wurde er 1964 zum „Held der Sowjetunion“ erklärt, in Baku errichtete man ihm 1981 ein Denkmal. Die Ostberliner Post druckte Sonderbriefmarken, und der sowjetische Erfolgsautor Julian Semjonow schrieb einen Roman über den Späher „Stirlitz“, der Richard Sorges gefährliches Leben schildert.

Heute jährt sich der 100. Geburtstag dieses legendären Agenten, der in Baku geboren wurde. Er war Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieges, dann USPD-, ab 1919 KPD-Mitglied. Er promovierte in Hamburg, zog 1924 nach Moskau, die Kommunistische Internationale schickte ihn nach China, um einen Spionagering aufzuziehen. Der Mann war rundum erfolgreich, als Pressekorrespondent für deutsche Zeitungen und ab 1933 sogar als NSDAP-Mitglied in Japan. Den deutschen Botschafter in Tokio, Major General Ott, beriet er auf das vertrauensvollste. Im Oktober 1941 flog er auf. Seine Hinrichtung am 7. November 1944 meldete keine sowjetische Zeitung und natürlich auch keine deutsche. Anita Kugler