Chiracs guter Freund in Brüssel

Skandinavische Länder wollten, daß EU gegen Frankreichs Atombombentests juristisch vorgeht. Sie sind an Kommission gescheitert  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Jaques Santer, Präsident der EU-Kommission, hat mit Frankreich schriftlich vereinbart, daß die Brüsseler Europagremien nicht gegen die Atombomentests im Südpazifik aktiv werden. Zwar würde der Euratomvertrag Frankreich verpflichten, solche Atomtests wenigstens anzumelden. Falls dadurch benachbarte Staaten gefährdet würden, könnte die EU sogar ihre Zustimmung verweigern.

Wie bei allen früheren französischen oder britischen Atomtests blieben diese Paragraphen auch diesmal reine Theorie. Dafür sorgte unter anderem Kommissionspräsident Jaques Santer persönlich. Zum erstenmal seit Jahren war der Hausfrieden in dieser Frage gestört. Vor allem skandinavische Kommissionsmitglieder klagten über die mangelnde Information seitens der französichen Regierung. Ihre Forderung nach einem Aussetzen der Testreihe solle aber nicht so wörtlich genommen werden, wie „gewisse Kommissionsmitglieder“ sie aussprechen, heißt es in einem Papier, das der dänischen Tageszeitung Information zugespielt worden ist.

Die Zeitung hat kein Faksimile des Dokumentes veröffentlicht, um ihre Informationsquelle zu schützen. Information ist jedoch nicht dafür bekannt oder auch nur verdächtig, sich die Topnachrichten selbst zu schneidern. Im Gegenteil gelten ihre Informationen im allgemeinen als besonders zuverlässig. In diesem Fall sind sie mit einer Reihe weiterer Pikanterien des Kommissionspräsidenten ergänzt. So habe Santer Mitte September versucht, schreibt die Zeitung, einen kritischen Brief des für Umweltfragen zuständigen Kommissionsmitglieds, Ritt Bjerregaard zu stoppen. Die Dänin hat sich innerhalb der Kommission an die Spitze der Versuche gesetzt, Frankreich zu einem Stopp der Atomtests zu bewegen und dabei auch mit juristischen Mitteln zu drohen. Der kritische Brief nach Paris mit der Aufforderung zu weiteren Informationen über die angebliche, von Ritt Bjerregaard öffentlich bezweifelte, Ungefährlichkeit der Tests, enthält gleichzeitig eine Aufforderung an Frankreich, keine weiteren Tests vorzunehmen, bevor die Kommission keine endgültige Stellungnahme zu dem bislang von Frankreich vorgelegten Material vorgelegt habe.

Was Paris von solchen „Einmischungsversuchen“ hält, wurde deutlich, als die Armee auch den zweiten Atombombentest exakt am jenem Tag stattfinden ließ, zu dem die Kommission zur neuerlichen Beratung der Testfrage zusammentreten wollte. Diesen „zufälligen Zusammenhang“ hatte man bereits beim ersten Test im September inszeniert.

In dem von Information teilweise wörtlich zitierten Protokoll zwischen Santer und französischen Vertretern wird festgestellt, daß die französische Regierung „versteht“, daß die Kommission die Frage einer Anwendung von Artikel 34 des Euratomabkommens nicht weiter verfolgen werde, unabhängig von öffentlichen Äußerungen aus der Kommission.

Unter anderem Greenpeace hat wiederholt die Regierungen der EU-Länder aufgefordert, über diese Bestimmungen gegenüber Paris aktiv zu werden. Zwischen Umweltkommissarin Bjerregaard und Jacques Santer hatte es in den letzten Wochen ein regelrechtes Tauziehen darum gegeben, ob Artikel 34 in diesem Fall anwendbar sei oder nicht. Santer war dagegen und drehte schlicht die Beweislast um. Die Kommission könne nicht beweisen, so lautete sein öffentlich vorgetragenes Argument, daß die Tests gefährlich für die Bevölkerung seien.

Ritt Bjerregaard aber und auch die Regierungen Dänemarks und Schwedens haben dagegen die Auffassung vertreten, Frankreich müsse die Ungefährlichkeit beweisen. „Dabei haben wir“, schimpft Ritt Bjerregaard, „nicht einmal ausreichende Informationen über die geologischen Verhältnisse im Testgebiet bekommen.“ Zweifelsfrei gehe aus dem Euratomabkommen (Artikel 35 und 36) die Befugnis der Europäischeh Union hervor, sich von der Regierung in Paris die Ungefährlichkeit der Tests beweisen zu lassen. Das bisher von Frankreich vorgelegte Material reiche dafür noch immer nicht aus.