Stoppt Strauß!

Während Hühnerbarone ihre Legehennen einknasten, kommt große Aufregung über die deutschen Straußenvögel. Ein Beitrag zum Welttierschutztag  ■ Von Bernd Müllender

Bizarre Körperproportionen, ein Hals wie ein Gartenschlauch, große Augen in einem kurios kleinen Kopf und dazu der schaukelnd-tänzelnde Wiegeschritt auf mächtigen Klumpfüßen – das reizt wenig zu ästhetischer Bewunderung. Und die 70 Gramm Hirn, die in seinem platten Schädel herumschwappen, geben dem „Kamel unter den Vögeln“ (Brehms Tierleben von 1867) seit jeher das Image konkurrenzloser Dummheit. Selbst im Buch Hiob heißt es schon: Gott habe dem Strauße, „die Weisheit versagt und keinen Verstand zugeteilt“.

Doch der afrikanische Strauß (struthio camelus) hat auch eine Menge zu bieten: Er ist bei bis zu 2,8 Meter Höhe der größte lebende Vogel, nicht flugfähig zwar, aber mit 70 Stundenkilometer Sprinttempo der schnellste Zweibeiner auf Erden. Niemand legt größere Eier, die bei Straußens, sehr emanzipiert, das Männchen bebrütet. Und aller Intelligenzdefizite zum Trotz hat man Strauße schon darauf abgerichtet, Schafherden zu bewachen und als mobile Vogelscheuchen an Getreidefeldern zu patrouillieren.

Doch hat der Strauß ein großes Problem: Er schmeckt. Neuerdings auch den Deutschen. Das zarte, fettarme Kilo Straußensteak gibt es schon für 30 Mark, tiefgefroren importiert, meist aus Südafrika. Und seit kurzem ist auch hierzulande begonnen worden, für den Frischfleischmarkt zu züchten. Zudem ist Straußleder besonders hochwertig.

Doch dieses Straußenfarming gehört verboten! Das fordert eine Koalition aus Tierschutzbund, Naturschützern, der Tierärztekammer und Politikern. Dem Vogel soll, außer in Zoos, jedwedes Bleiberecht entzogen werden. Parole: Stoppt Strauß!

Wenn Hanns-Dieter Rosinke über sein „derzeitiges Lieblingsthema“ ins Reden kommt, bleibt nur noch andächtiges Zuhören. „Strauße zum Nutztier machen“, schimpft er, bedeute „Haftvollstreckung aus ökonomischen Gründen“. Böse Tierquälerei sei es, wenn die undomestizierbaren Lauftiere nicht mehr „durch die afrikanische Savanne brettern können“, sondern in hiesiger Nässe, Kälte und Enge gehalten würden. Zudem sei die Straußenhaltung wirtschaftlich „eine fatale Schnapsidee“, und so stehe neben dem Artenschutz auch der soziale Schutz der Landwirte zur Debatte. „Wir wollen nicht zusehen, wie leichtgläubigen Bauern ein neuer Erwerbszweig aufgeschwätzt wird.“

Rosinke ist Sprecher des niedersächsischen Landwirtschaftsministers Karl-Heinz Funke (SPD). Dieser habe schon, sagt Rosinke, „als Kind auf dem Bauernhof geweint, wenn zu Hause Tiere zum Schlachter mußten“ und führe seitdem „einen unerschrockenen Kampf gegen alle Tierquälerei“. Und hat also eine Initiative im Bundesrat gestartet, die Bundesminister Borchert (CDU) auffordern soll, die kommerzielle Straußenzucht samt und sonders zu verbieten. Der Antrag wird derzeit in den Ausschüssen beraten.

Unterstützt wird Funke durch die Bundestierärztekammer. Sie hat dem Geflügel das Prädikat „Zu schützendes Tier des Jahres 1995“ verliehen. „Wehret den Anfängen!“ sagt Sprecherin Margund Mrozek zur taz, muß aber gleichzeitig feststellen, daß „auch deutsches Straußenfleisch in deutschen Restaurants auftaucht“. Denn ohne rechtliche Bestimmungen zur Strauchenschlachtung gebe es genügend Möglichkeiten, den Tieren ganz legal den Hals umzudrehen. „Veterinärämter können immer Ausnahmen erlauben oder auf Notschlachtungen erkennen.“

Die Veterinär-Funktionäre in Bonn kämpfen also für den Strauß, die Tierärzte vor Ort hingegen helfen bei Zucht und Mordung. Das bestätigt gern der Landwirt Wolf Helm vom Bundesverband Deutscher Straußenzüchter (BDS). „Wenn der örtliche Veterinär mitmacht, und das habe ich von vielen Verbandsmitgliedern gehört, ist das Schlachten von Straußen überhaupt kein Problem.“ Helm hat selbst vier Exemplare, der BDS rund 150 Mitglieder mit geschätzten 3.000 bis 4.000 Tieren. Die Kampagne verfolge man „sehr gelassen“. Bei einem Verbot will man „Rechtsmittel einlegen.

Nötig werden dürfte dies kaum. Erich Königs vom Tierschutzreferat des Bundeslandwirtschaftsministeriums verweist auf Sachgutachten, wonach „die Haltung von Straußen in diesen unseren Gefilden möglich“ sei. Schließlich gebe es den behördlichen Mindestanforderungskatalog von 1994: nämlich genügend Auslauf, beheizte und trockene Räume im Winter (Strauße haben keine Bürzeldrüse wie etwa Enten, um sich das Gefieder zum Nässeschutz einzufetten), ferner „intensive Pflege mit hohem Aufwand“ und hohe Zäune mit „sehr engen Maschen, kleiner als Straußenköpfe“.

An ein Verbot denkt man in Bonn deshalb kaum, und Minister Borchert (CDU) will in der Straußenfrage vorläufig noch „keine ungelegten Eier legen“. Das liberale EU-Recht kann ohnehin nicht so leicht unterminiert werden.

Und Bonn steckt den Kopf in den Sand

Prof. Günther Pschorn, der Präsident der Bundestierärztekammer, meint ebenfalls und doppelsinnig: „Es ist leichter, in Alaska Ananas zu züchten als Strauße in Deutschland.“ Zu Massentierhaltung allgemein schreibt er salopp, Legebatterien etwa seien bei uns „aufgrund wirtschaftlicher Zwänge toleriert“.

Hanns-Dieter Rosinke weist den Vorwurf der Doppelmoral weit von sich: „Wir in Hannover waren es, die in Karlsruhe den Antrag auf Verbot von Käfighaltung eingebracht haben. Wir predigen : Wer Rindfleisch am Wühltisch kauft, ist ein Tierquäler. Und wir werden von der Agrarindustrie als übelste Arschlöcher beschimpft...“ Nur: Entscheiden müsse Bonn. Und Bonn pocht, so Amtstierschützer Königs vom Landwirtschaftsministerium, auf den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“, sonst bestehe „Präjudizgefahr“, und nachher wolle noch jemand „die Haltung von Krokodilen verbieten“.

Die schlimmere Gefahr droht aus der anderen Richtung: Via Strauß droht erneut eine Debatte über die allgemeine verbrecherische Tierhaltung. Denn Tierschutz ist Vogel-Strauß-Politik – Kopf in den Sand, nichts tun und hoffen, daß es gut geht. Wobei erwähnt sei, daß das mit dem Kopf in den Sand bei Straußen nur Legende ist – entstanden vermutlich, weil sein winziger Kopf beim Grasen aus größerer Entfernung nicht zu sehen ist. Keine Legende ist, daß sich viele Verantwortliche hierzulande für den Tierschutz nur dann aufplustern, wenn keine Gefahr droht. Strauß raus? Wahrscheinlich würde jedes deutsche Mastschwein gerne und sofort mit einem Zuchtstrauß tauschen.