Vom libertären Zug der bayrischen Lebensart

■ Jahrzehntelang schien es, als seien Bayern und die CSU eins. Denn anstehende Probleme konnte die Partei in abgeschlossenen Zirkeln lösen. Damit ist es nun vorbei

Da staunen die Nordlichter. Bayern ist seit dem 1. Oktober in Deutschland „vom Schlußlicht zur Lokomotive“ in Sachen direkte Demokratie geworden. Beim Volksentscheid über den Gesetzentwurf der Bürgeraktion „Mehr Demokratie“ haben die bayrischen BürgerInnen mit großer Mehrheit für ein Mitspracherecht auf kommunaler Ebene gestimmt, das weitergehend ist als in allen anderen Bundesländern.

Denn während dort zwischen 25 und 50 Prozent aller Stimmberechtigten für einen von BürgerInnen eingebrachten Antrag stimmen müssen, entscheidet in Bayern allein die Mehrheit derjenigen, die sich an der Abstimmung beteiligen. Daß die CSU mit ihrem eilig nachgeschobenen Kastratenentwurf nun eine der schlimmsten Watschen in ihrer 40jährigen Geschichte bekommen hat, liegt vor allem daran, daß auch viele CSU- Wähler das durchsichtige Manöver ihrer Parteihäuptlinge erkannten. Es war die schiere Angst vor der Basis, die Stoiber & Co. umtrieb. In gutes Bayrisch übersetzt, lautete die Botschaft ihres Gegenentwurfes schlicht: „Unser Rua woima, wemma über euch entscheiden.“ Nix war's.

In der allgemeinen Freude darüber, daß es die CSU nicht geschafft hat, sollte der ethnologisch- historische Aspekt dieser Abstimmung nicht untergehen. Es ist nämlich keineswegs so, daß die Bayern ein jodelndes Völkchen am Alpenrand sind, das sich nichts Schöneres weiß, als mit Kreuz und Wahlkreuz dem jeweiligen Stammesfürsten zu huldigen. Dennoch wird dieses Seppl-Image jenseits des Mains seit Jahr und Tag mal liebevoll, mal hochmütig kolportiert.

Der CSU ist das nur recht. Sie ist es, die am meisten davon profitiert. Indem sie sich nach außen als ideeller Gesamtseppl darstellt, verschafft sie sich im Inneren das Image, die einzig echte Vertreterin wahren Bayerntums zu sein. In unregelmäßigen Abständen wird deshalb gern das Stück „Bayern gegen den Rest der Welt“ inszeniert. Mit Blasmusik und Kruzifix. Ein Anlaß findet sich schon. Und alles glaubt mal wieder, Bayern und CSU seien eins.

Die Entscheidung vom Sonntag hat dieses Abziehbild ziemlich deutlich Lügen gestraft. Die von der CSU so gern beschworene „bayrische Lebensart“ hat nämlich durchaus libertäre Züge, auch wenn das nach außen nicht immer so sichtbar ist (und es die CSU nicht wahrhaben will). Man braucht dabei gar nicht die Sendlinger Bauernschlacht 1705 oder die Bayerische Räterepublik zu bemühen. Daß von Goppel über Strauß und Streibl bis Stoiber alle bayrischen Ministerpräsidenten meinten, sie hätten das Monopol, darüber zu bestimmen, was diese Lebensart ausmacht, ist ein altes Mißverständnis der CSU-Politik.

In Wirklichkeit hat es die Staatspartei nur stets verstanden, durch Speziwirtschaft die Kämpfe und Konflikte des Landes in den eigenen Reihen auszutragen, um sich dann nach außen als geschlossene Gemeinschaft zu präsentieren. Am Sonntag haben viele BürgerInnen – auch und gerade auf dem Land – gezeigt, daß das nicht immer so bleiben muß. Sie haben den Herren der Staatskanzlei gezeigt, daß ihnen die Macht nur geliehen ist und daß sie, wenn sie es zu bunt treiben, einen Nasenstüber bekommen. Wenn sie wollen, können die Bayern es auch ohne CSU.

Es steht ernsthaft zu hoffen, daß mit dem erweiterten Mitwirkungsrecht endlich ein frischer Wind in die bayrische Politik kommt. Daß sich die CSU jetzt flink und wendehälsisch an die Spitze der Bewegung setzt und „ihre“ Themen (etwa die Untertunnelung des Mittleren Rings in München) per Bürgerentscheid durchzubringen droht, sollte nicht allzusehr ängstigen. Direkte Mitwirkung der BürgerInnen belebt in jedem Fall die Diskussion. Überall im Lande rühren sich bereits Initiativen, die ihre Interessen in die eigenen Hände nehmen wollen.

Natürlich gibt es keine Garantie, daß dabei immer die „richtige“ Entscheidung getroffen wird. Aber diese Garantie hat es bisher auch nicht gegeben. Mit dem Bürgerentscheid können „falsche“ Entscheidungen jedenfalls leichter korrigiert werden. Die Politik in Bayern wird etwas mühseliger werden, aber auch spannender. Gerauft wird nun nicht mehr nur in geschlossenen Zirkeln, sondern öffentlich. Zur Nachahmung empfohlen. Thomas Pampuch, München