Sanssouci: Nachschlag
■ Heinrich-Heine-Straße: Eine Mauerliebe live im Hoftheater
Seitdem Gerhard Herrgott und Klaus Nothnagel sich 1995 „um Mitternacht zufällig in der S-Bahn“ wiedergetroffen haben – so behauptet zumindest ihr letztes Programm –, sind sie unzertrennlich. Selbst den Tag der Einheit begehen sie in schon bewährter Zweisamkeit. Passend zum gesamtdeutschen sechsten Geburtstag, spielt Herrgott die „Kinderszenen“ von Robert Schumann auf dem Klavier, Melodien, die auf keine ganz unbeschwerte Kindheit schließen lassen. Herrgott setzt damit musikalische Zäsuren in Nothnagels Erzählung „Heinrich-Heine- Straße“. Aus der Haut des Satirikers schlüpft der Autor auch bei seinen fiktiven Liebesangelegenheiten nicht.
Satire ist es, was das Publikum im Hoftheater Prenzlauer Berg von Nothnagel erwartete, und so quittierte es mit anerkennendem Gelächter, daß die Erzählung über Ostler und Westler gleichermaßen spottete. Wie der Titel schon ahnen läßt, erzählt die Geschichte von einer Ost-West-Liebe, die zumindest für den Protagonisten durch die Mauer ihren speziellen Reiz gewinnt. Der Westler war vor überraschendem Besuch der eingemauerten Geliebten sicher gewesen und konnte daher ein lustiges, wenngleich auch nicht moralisch einwandfreies Doppelleben führen, aber „Moral war ohnehin nicht in Mode zu dieser Zeit“. „Ahh, ja“, kam da eine gedehnte Frauenstimme aus dem Publikum, als dämmerte ihr plötzlich etwas. Kathrin, die schlagfertige Geliebte aus Mitte, kann es nicht gewesen sein, denn die holt nach dem Mauerfall den Helden aus dem Chauvihimmel unverhofft auf den Boden unliebsamer Tatsachen zurück.
Die kleinen Ausflüge auf Nebenschauplätze der Erzählung machen das eigentliche Vergnügen der Nothnagelschen Leseabende aus. Die Lächerlichkeit der Liebe macht auch vor seinem Ich-Erzähler nicht halt und sorgt für eine überraschende Wende. Schade eigentlich, daß Nothnagel/Herrgott dafür nur den Einheits-Jubeltag vorgesehen hatten. Eine Wiederholung des Abends ist erst für nächstes Jahr geplant. Anne Winter
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