„Sparen ist völlig sinnlos“

Vor den Kommunalwahlen: Die Bezirke entscheiden erstmals selber über ihre Ausgaben. Doch wer einspart, wird vom Finanzsenator bestraft  ■ Von Dirk Wildt

Zuerst die gute Nachricht: Nicht alle Bezirke werden in diesem Jahr ihren Etat überschreiten. Die schlechte Nachricht: Sie haben nichts von ihrer Sparsamkeit. Der nächste Finanzsenator wird das übrigbleibende Geld einkassieren, um Haushaltslöcher in den Kassen anderer Bezirke und des Landes zu stopfen. Die Verwaltungsreform, mit der den Bezirken mehr Freiheiten beim Haushalten zugestanden werden, hat zwar begonnen, doch Sparen „lohnt“ sich frühestens ab 1998. Dann erst sollen die Bezirke ihre Gewinne behalten dürfen (siehe nebenstehenden Kasten).

Daß in diesem Jahr vermutlich drei Viertel der 23 Bezirke Verlust machen werden, ist dabei nicht einmal schlechter Haushaltspolitik zuzuschreiben. Durchweg würden unter dem Schlußstrich ihrer Bilanzen sogar schwarze Zahlen stehen, wären nicht die Ausgaben für einen Posten drastisch angestiegen, auf den die Bezirke keinen Einfluß haben: die Sozialhilfe.

So müssen etwa Prenzlauer Berg und Charlottenburg jeweils rund 15 Millionen Mark mehr ausgeben – hauptsächlich für Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, Lichtenberg muß mehr als 11 Millionen Mark und Kreuzberg 2 Millionen Mark drauflegen, weil die Senatsverwaltung für Finanzen bei der Sozialhilfe den Bezirken am Jahresanfang zu wenige Mittel zugestanden hat. Die Verwaltung war von weniger Bedarf ausgegangen.

Da jeder Bezirk seine Verluste – egal ob selbst- oder fremdverschuldet – zuerst mit seinen Gewinnen ausgleichen muß, gehen beispielsweise Prenzlauer Berg die voraussichtlichen Mehreinnahmen von 6 Millionen Mark verloren. Das bleibende Defizit von 9 Millionen Mark muß dann das Land Berlin ausgleichen.

Robert Scholz, Finanzstadtrat in Prenzlauer Berg, ist dann auch dementsprechend enttäuscht vom ersten Schritt der Verwaltungsreform. Der PDS-Politiker hat 480 Millionen Mark zu verwalten. Eine Diskussion, wie der Bezirk seine Einnahmen steigern könnte, um so Defizite auszugleichen, „ist völlig sinnlos“, sagt der Finanzmann.

An Ideen mangelt es Finanzstadtrat Scholz dabei nicht. So könnte der Bezirk mehr öffentliche Flächen für Schankwirtschaften vermieten und das Ausufern von Baustellen auf öffentlichem Straßenland besser kontrollieren.

Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder (SPD) möchte die Globalhaushalte trotz ihrer Unzulänglichkeiten nicht missen. Der Bezirksverordnetenversammlung sei es viel leichter gefallen, in diesem Jahr Schwerpunkte zu setzen und bei veränderten Situationen im laufenden Jahr Gelder umzuschichten.

Daß der Senat eine „hohe Verantwortung“ auf die Bezirke übertragen habe, „hat sich sehr bewährt“. Vierteljährlich überprüfe er mit den sechs Stadträten, wie sich die geplanten Ausgaben in Höhe von 933 Millionen Mark und die Einnahmen entwickeln.

Als gutes Beispiel für die neue Freiheit führt Strieder die erstmalige Präsentation Kreuzbergs auf der Hannover-Messe an. Um die notwendigen Fördergelder von 200.000 Mark zu erhalten, hätte im vergangenen Jahr noch der Finanzsenator eingeschaltet werden müssen. Das wäre so kompliziert gewesen, daß Kreuzberg auf einer Teilnahme an der Messe verzichtet habe. Dieses Jahr habe der Bezirk ohne Umweg und damit unaufwendig mit der Wirtschaftsverwaltung über das Fördergeld verhandeln können.

Mit der finanziellen Verantwortung haben die Bezirke auch neue Aufgaben erhalten. So entscheiden sie statt wie früher die Hauptverwaltung, welche Projekte Zuschüsse erhalten. „Erstmals ist deutlich geworden“, sagt Strieder, „welche Projekte es in Kreuzberg überhaupt gibt.“ Der Bezirk verteilt an rund 135 Projekte – überwiegend Elterninitiativ-Kitas – 30 Millionen Mark. „Wir haben die Chance, Schwerpunkte zu setzen“, ist Strieder über die neuen Spielräume begeistert. Er kritisiert aber gleichzeitig, daß zwischen Hauptverwaltungen und etablierten Projekten über die Jahre ein gewisser Filz entstanden sei. Bislang habe ein einzelner Sachbearbeiter in einer Senatsverwaltung über Zuwendungen entschieden, jetzt seien dafür die Bezirksverordnetenversammlungen zuständig.

Natürlich ist Strieder wie alle seine Kollegen nicht dann über neue Aufgaben erfreut, wenn es dafür nicht zusätzliches Personal gibt. Die Bezirke müssen seit Januar Widersprüche zu Themen wie Einschulungen, Bauanträgen, Fehlbelegungsabgaben, Zweckentfremdungen und Erziehungsgeld bearbeiten. Die Hauptverwaltung ist den Papierkrieg los, ohne daß sie dadurch alle der bei ihr wegfallenden Stellen an die Bezirke weitergegeben hat. Jeder Bezirk bekam nur zwei Mitarbeiter zusätzlich. Die leisten im Jahr insgesamt 4.000 Arbeitsstunden, die neuen Aufgaben fordern aber bis zu 30.000 Arbeitsstunden.

Auch Helmut Heinrich (CDU), Bezirksbürgermeister in Charlottenburg, ist trotzdem froh über die neue finanzielle Freiheit. So konnte der Bezirk, dessen Etat sich auf mehr als eine Milliarde Mark beläuft, viel unbürokratischer Stellen bei der Reinigung bezirklicher Einrichtungen abbauen und statt dessen private Unternehmen beauftragen.

Ebenso konnte ohne „aufwendige Absprachen“ der Kunstrasen auf einem Sportplatz an der Jungfernheide ausgewechselt werden, als der Senat kurzfristig ein Förderprogramm aufgelegt hat. „Früher wäre für diese Entscheidungen viel Zeit verlorengegangen.“

Lichtenbergs Finanzstadtrat Wolfram Friedersdorff bedauert am stärksten den fehlenden Anreiz zum Sparen. Lichtenberg hat ein Haushaltsvolumen von 690 Millionen Mark. Der PDS-Stadtrat fordert wie Kollegen aus anderen Parteien, daß die Bezirke an den Steuereinnahmen beteiligt werden sollten. So würden die Kommunalpolitiker motiviert, für neue Arbeitsplätze in ihrem Bezirk zu werben und dadurch die Einnahmen zu erhöhen.

Auch wenn der Senat diese Idee bislang ablehne, ist Friedersdorff optimistisch, daß bei der Fusion von Berlin und Brandenburg voraussichtlich im Jahr 1999 neue Wege in der Berliner Finanzpolitik gegangen werden können. Berlin verliert dann seinen Stadtstatus, die Bezirke werden zu Kommunen und erhalten diverse Zuständigkeiten, die der Senat freiwillig nicht abgeben würde.

Siehe auch Kommentar Seite 21