Gerichts-TV: Ja bitte!

■ Die Medienschelte nach dem Simpson-Prozeß

Als Larry King, Amerikas Talkmaster No. 1, kürzlich gefragt wurde, was sein größter Alptraum sei, sagte er: „Wenn ich einen Auftritt von Gott für die Dienstagsshow geplant hätte, und plötzlich riefe O. J. Simpson aus dem Gefängnis an und sagte, er wolle diesen Abend bei mir auftreten.“ Und was würde er machen? „Gott auf Mittwoch vertrösten.“

Kaum ein Kommentator hierzulande freute sich über den Freispruch für den des Mordes angeklagten Footballstar O. J. Simpson. Statt dessen wurde aber allenthalben die Nase darüber gerümpft, daß die Gerichtsverhandlung zur Soap-opera verkommen sei, daß CNN Millionen an dem Prozeß verdient habe, daß Werbespots dem Prozeß die nötige Würde geraubt hätten. Vor Nachahmung wird gewarnt: Brot und Spiele sollen dem zähnefletschenden Fernsehvolk nicht geboten werden, da sei Vollmer vor.

Natürlich gab es soapige Elemente: die tränenreiche Liebeserklärung des Richters Ito an seine Frau, das Geplänkel zwischen den Anwälten, die episodenhaften Auftritte von schönen Reichen aus Brentwood, die Berichte über die Sorgerechtsverhandlung zwischen der Staatsanwältin und ihrem Mann.

Aber haben die zu dem Umfrageergebnis beigetragen, bei dem die Hälfte aller Amerikaner angab, völlig das Vertrauen in das amerikanische Justizsystem verloren zu haben (gegenüber 28 Prozent vor der Verhandlung)? Zu der Diagnose eines Prozeßbeobachters, daß „die Polizei nicht mehr für Gerechtigkeit, die Anwälte nicht mehr für das Gesetz, die Geschworenen nicht mehr für Unparteilichkeit und der Richter nicht mehr für Ordnung und Rationalität“ steht?

Oder kommen solche Einschätzungen nicht viel eher dadurch zustande, daß sichtbar wurde, wie teuer eine gute Verteidigung ist; wie unprofessionell dagegen die normal bezahlten Beamten von Polizei und Gerichtsmedizin mit Beweismitteln umgingen; wie die Jury entgegen der Durchschnitts-Demographie besetzt war; und, vor allem, wie sich die Straßencops, mit denen eben jener Durchschnittsbürger zu tun hat, mit rassistischen Äußerungen geradezu brüsten?

Diese enormen Schwächen des Justizsystems (so wie dessen Überforderung mit dem Schwarz-Weiß-Gefälle) hat das amerikanische Fernsehen auch dem blutigsten Laien noch in einer Detailliertheit nahegebracht, daß man an jeder Tankstelle Experten palavern hört. Mit Brot und Spielen hat das nichts zu tun. Man nennt es Öffentlichkeit. Mariam Niroumand