Vorschlag

■ Visuelles Stottern von geregelter Harmonie: Filme René Clairs

Übermütiger Anarchismus prägt die avantgardistischen Filme René Clairs. Mit größtem Vergnügen nahm der ehemalige Journalist und Schauspieler dem Medium Sinn und Verstand und pfiff auf kinematographische Konventionen und Geschichten, die die Chose zusammenhalten. Als „visuelles Stottern von geregelter Harmonie“ umschreibt Clair sein berühmtes Werk „Entr'acte“ (1924), ein filmisches Manifest der französischen Avantgarde. Motive, Rhythmen, Techniken dieser experimentellen Arbeiten finden sich später auch in seinen Spielfilmen.

Wie „Entr'acte“ beginnt „Le Million – Die Million“ (1931) mit einem Streifzug über die Dächer von Paris – Regenrinnen und Schornsteine in endlosen Varianten. Im weiteren Verlauf werden wir immer wieder dort landen. Atemberaubende Verfolgungsjagden finden oben in den Lüften statt, dann wieder stürzt man durch die labyrinthischen Gänge eines Pariser Mietshauses. René Clair liebt Bewegung, Action. Der junge Künstler Prosper wird von seinen Gläubigern gejagt. Im Gleichschritt geht's treppauf, treppab. Regelmäßig stolpert man über den Eimer der nörgeligen Putzfrau. Wie einer Burleske entsprungen erscheint die Clairsche Rasselbande. Als Prosper im Lotto gewinnt, gönnt man sich bei prickelndem Champagner eine Atempause. Doch, o Schreck, das Los ist weg. In der Oper endet die wilde Suche, und hier treibt René Clair Schabernack mit der Tonspur. Die finale Schlacht unterlegt er mit Geräuschen eines Fußballspiels. Auf Chaos folgt Polka, Gesangseinlagen sorgen für den richtigen Drive.

Auch die charmanten Hälftlinge Louis und Emil aus „Es lebe die Freiheit“ schmettern ihre Lebensfreude in Gassenhauern heraus. Nach einem mißglückten Ausbruchsversuch gelingt nur dem dicken Louis die Flucht. Er gründet eine gigantische, gefängnisgleiche Fabrik, die bedrohlich ins Bild ragt. Der Film erzählt vom Unbehagen gegenüber Rationalismus, Fortschrittsglauben und Geldgier. Beim lustvollen Revolutionär René Clair siegt am Ende der Müßiggang. Anke Leweke

„A nous la liberté – Es lebe die Freiheit“ (OmU). Bis 11.10., Notausgang, 12.10. bis 18.10., Moviemento; „Le Million – Die Million“ (OmU), 12.10. bis 18.10., Notausgang.

Adressen und genaue Termine siehe cinemataz

Charmanter Häftling aus „Es lebe die Freiheit“ Foto: Verleih