piwik no script img

Schrien. Tobten.

■ Durch das Nadelöhr kriechen oder ans weite Herz gedrückt werden - Möglichkeiten der Autorenförderung in Berlin

Leben ist ja so leicht nicht hinzukriegen. Manchmal aber ist es plötzlich da: „A. steckte bis zum Gürtel im Gegenleben“. Anderntags wäre Inszenierung vonnöten, volltrunken oder nüchtern. Oder man stürzt sich ins volle Leben der anderen. Literatur – Peter Wawerzineks „Babylon“- Erzählung – umschreibt das Problem (vgl. auch taz vom 21.9.). Dadurch wird das Leben natürlich nicht leichter. Ein Zwischenbereich bildet sich, schon Öffentlichkeit, noch Privatheit. Früher sprach man vom Literaturbetrieb und meinte das negativ, heute wird der Euphemismus des literarischen Lebens gepflegt.

Umwertungen wie diese sind vornehmlich Aufgabe ehrenhabilitierter Verwaltungsdoktoren wie Dietger Pforte. Der Chef der Berliner Autorenförderung hat kaum noch Geld zu verteilen. Die Übertragung seines Geschäftsbereichs an die Autopoesis ist so nur konsequent: Rollentausch im Sprechtheater der Subventionskultur.

Den Haß darauf gibt es gratis: „Babylons Oberhäupter saßen in der Mitte des Raums. Sprachen mit Seitenblicken von wirklicher Genialität. Debattierten scheinbar gehaltvoll und intensiv. Oder sie zeigten sich plötzlich gereizt. Stießen Flüche aus. Schrien. Blickten wild. Tobten. Stürzten Tische um. Die trotzigen Tischnachbarn blufften Anteilnahme. Dann verflog der Rauch“.

Stalinstadt ist kein gefördertes Sujet

Gemeint ist hier natürlich die Szenerie Prenzlauer Berg vor der Wende. Aber weil mit den Jahren der Haß zunimmt und die Erinnerung nachläßt, ist auch Wawerzineks Protagonist „A“ viel dümmer und papierner als noch „Moppel Schappik“, der Held seines Romans von vor vier Jahren – die Zitate aus „Mein Babylon“ sind universell verwendbar. Abseits, sagt da Tilo Köhler, lebt es sich schöner. Wawerzineks Freund meidet inzwischen die erlesenen Orte der Berliner Kultur und verlegt sich aufs Hemdsärmlige. Er hat gerade den dritten Band seiner DDR- Anachronie herausgebracht, nach den Geschichten aus der Berliner Stalinallee und aus Stalinstadt (Eisenhüttenstadt) nun dreißig Jahre „Lust am Schaffen – Freude am Leben“ im Eisenhüttenkombinat Ost, den Stalinwerken in der Niederlausitz. Kaum ein Sujet für Fördertöpfe.

Aber es gibt ja noch die sozialdemokratische Version von literarischem Leben. Sie heißt Künstlersozialförderung und residierte bis vor kurzem im Doppelcontainer bei den Aussiedlern im Auffanglager Marienfelde. Inzwischen ist sie in die Voltastraße gezogen, aufs Gelände der bankrotten AEG.

Im Büro der Sozialen Autorenförderung sitzt Frau Reinhardt – wie mir allseits versichert wurde, die richtige Frau auf dem richtigen Fleck. Sie untersteht der Sozialsenatorin und stützt Berufsschriftsteller, deren Einkommen die Grenze zum Wenig-Verdiener unterschreiten. „Hobbyschriftsteller“, sagt sie, „fördern wir nicht. Hin und wieder aber ist auch ein Anfänger dabei, der talentiert ist. Dann sagt die Jury: Das ist ein Talent, da steckt was drin. Das ist egal, ob der schon was veröffentlicht hat oder nicht.“

Ingo Stephan ist so ein Talent. Der verkauft in Berlin Essen auf Rädern und auf Ostsee-Märkten saure Gurken. Sonst sitzt er am Schreibtisch und schreibt. Ganz schöne Prosa, kühl, mit einem eigenartigen Ton. Geschichten aus dem Osten, Bilder, die Zeit haben, sich zu entwickeln. Die finden irgendwann ihren Verleger. Dreimal bekam er von Frau Reinhardt einen Dreimonatsvertrag zum Weiterschreiben. Zuletzt hat man ihn abgelehnt. Wenn es nicht zur Veröffentlichung kommt, geht die Jury irgendwann davon aus, daß da einer nur abzocken will. Stephan nimmt das nicht krumm: „Das Gegenteil kann ich nicht nachweisen, also lass' ich's jetzt.“

Zu Suhrkamp oder der Irrenoffensive

Ansonsten hat man in der Sozialen Autorenförderung ein weites Herz. Von 59 Bewerbern bekamen zuletzt 45 ihre Verträge, und das liegt schon unter dem Schnitt. Die Jury ist paritätisch besetzt, reicht von Morshäuser bis Pietraß, und selbst das Nadelöhr Pforte hat hier seinen Platz inter pares.

Und dann gibt es noch die Lesungen. Auf Anfrage vermittelt Frau Reinhardt ihre Autoren mit 300 Mark Honorar in der Tasche an Schulen, Bibliotheken, Irrenoffensiven, Kulturzentren, Behinderteneinrichtungen, Altersheime. „Für Lesungen sind gerade unsere ausländischen Autoren sehr gefragt. Auch wenn sie literarisch nicht unbedingt die absolute Spitze sind, sind sie sehr gute Gesprächspartner. Und es gibt auch einen Spitzenautor hier, Kemal Kurt, der ist seit einiger Zeit regelmäßig in der Förderung.“

„Durs Grünbein würde ich gern öfter für Lesungen nehmen“, erzählt Frau Reinhardt weiter, „aber er ist natürlich inzwischen so ein bißchen da oben. Der ist nach wie vor sehr, sehr freundlich, kann man nicht anders sagen, aber das ist dann auch abgeschlossen. Den hatte ich dann noch mal gefragt wegen einer Lesung, aber der macht sich gern rar, was ich verstehe. Das ist mir lieber als jemand, der sich anbiedert. Eigentlich ist es schön, wenn man die Leute nicht wiedersieht. Die haben es geschafft. Bei manchen find' ich es natürlich auch traurig. Ihren Weg kann man dann in der Zeitung verfolgen.“ Fritz v. Klinggräff

Im Rahmen der Sozialen Autorenförderung lesen heute abend um 20 Uhr im Literaturhaus Fasanenstraße Peter Wawerzinek und Tilo Köhler. Nähere Informationen unter Telefon: 4643963

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen