Aus Rot-Grün gelernt?
: Stadtumbau – mehr als ein Laborversuch im Glashaus

■ taz-Serie zu den Erfahrungen der rot-grünen Koalition von 1989 / Michaele Schreyer über „alte Kröten und neue Ufer“

Die bündnisgrüne Abgeordnete Michaele Schreyer war in der rot-grünen Koalition Umweltsenatorin.

Höher hätten die Erwartungen 1989 an die erste rot-grüne Koalition kaum geschraubt werden können als mit Christian Ströbeles Wort von der „Jahrhundertchance“. Das Programm eines „ökologischen Stadtumbaus“ konnte sich sehen lassen, verhieß Verbesserungen der Lebensqualität in West-Berlin in vielen Bereichen. Aber es hatte Haken:

– Es enthielt eine Menge Prüfaufträge, wie mit bekämpften Projekten des Vorgängersenats umzugehen sei. Bei vielen stellte sich heraus: sie waren nicht mehr zu kippen. Damit waren die ersten „Kröten“ auf dem Teller.

– Das Programm unterstellte eine „Glashaus-Situation“: Alle Rahmenbedingungen bleiben gleich außer denen, die Rot-Grün verändert. Doch nach einem halben Jahr, seit der Öffnung der Grenzen zwischen Österreich und Ungarn, bestimmten weltpolitische Veränderungen Inhalt und Tempo der Berliner Politik. Große Teile beider Parteien hielten dagegen weiter allein die Koalitionsbibel hoch.

– Vereinbart war eine „streitbare Koalition“. Praktiziert wurden ständige Koalitionskrisen. Die Ursache: mangelnde Konfliktlösungsmechanismen und permanente Dominanzkämpfe. Bei der SPD versuchte das Küchenkabinett ständig, in von AL-SenatorInnen geführte Ressorts hineinzuregieren. So boykottierte die Senatskanzlei noch im Mai 1990 die Veröffentlichung der Regionalplanungsgrundlagen, die die von mir direkt nach der Wende initiierte „Planungsgruppe Potsdam“ erarbeitet hatte, mit dem abstrusen Argument, für „Auslandsbeziehungen“ sei die Senatskanzlei zuständig.

Reichlich Erfahrung also, um daraus die folgenden Schlüsse zu ziehen:

– Die Unterschiede zur SPD wurden um so deutlicher, je realpolitischer wir wurden. Gerade deshalb dürfen die Berliner „Garzweiler“ nicht als Prüfaufträge getarnt werden, sondern sind vor einem Koalitionsbeschluß zu klären. Nur, wenn das Verhältnis zwischen alten Kröten und neuen Ufern stimmt, wird Rot-Grün eine Chance haben.

– Heute geht es nicht mehr darum, eine fertige Stadt ökologisch umzubauen, sondern für eine Region im Wandel die Weichen für eine umweltverträgliche und soziale Entwicklung zu stellen. Das ist keine „Glashaus-Situation“, in der allein die rot- grüne Koalition die Weichen stellt, sondern eine Vielzahl von politischen Akteuren ist beteiligt: Bei Hauptstadtfragen der Bundestag, die Bundesegierung; für die Gestaltung eines gemeinsamen Bundeslandes die „Brandenburger“ und vor allem: Reformen – so die Erfahrung – bekommen gesellschaftliche Akzeptanz nur mit gesellschaftlicher Teilhabe. Das erfordert von uns Bündnisgrünen in vielem mehr Geduld, mehr Toleranz, mehr Demokratie.

– Klar sollte auch sein: Eine Neuauflage der permanenten Koalitionskrise darf es nicht geben. Bessere Strukturen für Konfliktlösungen haben wir in der Partei schon geschaffen. Notwendig ist aber vor allem, daß SPD wie Bündnis 90/Die Grünen sich in ihrem jeweiligen Profil respektieren.

Das ist nicht einfach. Denn nach viereinhalb Jahren Großer Koalition steht die SPD für ökologisch und ökonomisch irrsinnige Großprojekte wie den Tiergartentunnel und Autobahnen. Sie steht dafür, daß 800 Millionen ausgegeben werden für drei Olympiahallen, während Schulsporthallen weiter verfallen oder gänzlich fehlen. Sie steht dafür, daß der soziale Wohnungsbau zusammengestrichen wurde, um immer mehr und teurere Wohnungen zu fördern. Sie steht für eine Welle der Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen und den Verkauf nicht an Mieter, sondern Abschreibungsgesellschaften. Die SPD steht dafür, daß Schwenkow für das Schiller Theater kaum Miete zahlen muß, während Eltern-Kind-Initiativen wegen steigender Mieten aufgeben müssen. Sie steht dafür, daß René Kollo einen Vertrag bekam, der ihm einen jährlichen Zuschuß von über 33 Millionen DM für das Metropoltheater sichert, während für Selbsthilfevereine wie SO 36 der 200.000-DM-Zuschuß genauso gestrichen wurde wie der 275.000-DM-Zuschuß für verbilligte Fahrkarten für arbeitslose Jugendliche. Ist das die solidarische Politik, mit der Herr Strieder das SPD-Profil gegenüber den Bündnisgrünen schärfen will?

Das Ausweichen in Verschuldung auf Kosten zukünftiger Generationen, um sich heute vor politischen Entscheidungen zu drücken, das wird mit den Bündnisgrünen nicht laufen. Wir Bündnisgrüne stehen für eine Politik, die mit knappen Ressourcen sorgsam umgeht, mit den natürlichen Ressourcen wie den öffentlichen Mitteln. Wir stehen für eine Politik, die das Ziel der Vollbeschäftigung nicht aufgegeben hat und genau deshalb auch von der eigenen Klientel Solidarität einfordert. Michaele Schreyer

wird fortgesetzt