Mühsames Ringen um verlorenen Boden

Je weiter östlich der Bezirk, um so schwächer wird die bündnisgrüne Basis. Ausnahme: Prenzlauer Berg. Vom Tiefpunkt der Bundestagswahlen 1994 erholt, rechnet man im Osten mit 10 Prozent  ■ Von Christoph Seils

Zwischen den riesigen Plattenbauten fällt der kleine Info-Tisch der Bündnisgrünen kaum auf. Die Mensch hasten vorbei, kaum einer verliert dabei einen freundlichen Blick für die Wahlkämpfer. Nur selten erkundigt sich ein Passant im Detail nach bündnisgrünen Politikansätzen.

Sei es in Lichtenberg, Marzahn oder Hellersdorf, überall, wo Plattenbauten das Stadtbild prägen, fällt es den Wahlkämpfern der Bündnisgrünen schwer, ihre Ideen an den Mann oder die Frau zu bringen. In den Hochburgen der PDS schlägt ihnen ein frostiges Klima entgegen. „Stasi-Jäger“, „Körnerfresser“ oder „Autohasser“, die antigrünen Klischees sind hier noch tief verwurzelt.

Anders sieht es in Prenzlauer Berg aus. Das bündnisgrüne Stadtteilfest am Tag der deutschen Einheit ist gut besucht, die jiddische Musik kommt an, und mit den Kandidatinnen wird auf hohem Niveau über die Stadtplanung im Bezirk oder den Arbeitsmarkt gestritten. Rund um den Kollwitzplatz ist Marianne Birtler sogar nicht aussichtslos im Rennen um ein Direktmandat.

Bei den Bundestagswahlen lagen die Bündnisgrünen hier noch vor der PDS und nur knapp hinter den Sozialdemokraten. Doch außer in Prenzlauer Berg und in den Altbauquartieren von Mitte, mit Abstrichen noch in Friedrichshain oder Weißensee, kann von einer gefestigten bündnisgrünen Basis in den östlichen Bezirken von Berlin kaum gesprochen werden.

Lediglich 452 der gut 3.000 Mitglieder der Berliner Bündnisgrünen kommen aus dem Ostteil der Stadt, jeder dritte davon wohnt in Prenzlauer Berg. In Hellersdorf, Hohenschönhausen oder Pankow hingegen gibt es kaum mehr als eine Handvoll bündnisgrüne Aktivisten, und die sind häufig auch noch zerstritten.

„Der Wendeschwung ist verbraucht“, sieht auch Michael Wartenberg, aus Weißensee stammender Geschäftsführer der Bündnisgrünen, die Mühen der Ebene im Osten der Stadt vor sich. Bei den Bundestagswahlen im Herbst 1994 kamen die Bündnisgrünen im Ostteil der Stadt nur knapp über 5 Prozent. Nach Umfragen dürfen sie jetzt immerhin mit 10 Prozent rechnen – immer noch deutlich unter den für die West-Grünen prognostizierten 16 Prozent.

Trotz des kleinen Aufschwungs sind die Parteistrategen ratlos bei der Frage, wie man auch die Basis im Osten stärken kann. „Man kann es nicht übers Knie brechen“, weiß auch Sibyll Klotz, die als Ostberliner Spitzenkandidatin den Bündnisgrünen hier ein besseres Image verschaffen soll.

Doch billige Schuldzuweisungen an die Dominanz der Ex-ALer in der Partei hört man immer seltener. Die Erkenntnis, daß die Krise der Ostler in der Partei auch hausgemacht ist, setzt sich mehr und mehr durch. Die Ostler seien es nicht gewohnt, über längere Zeit so beharrlich wie im Westen an politischen Themen zu arbeiten, klagt Michael Wartenberg.

Vielen seiner bürgerbewegten Mitstreiter von einst wirft Thomas Kreuzer vor, durch „Spiegelfechtereien oder undurchsichtige Intrigen“ neue Leute zu vergraulen und die konkrete politische Arbeit vollkommen zu vernachlässigen. Immer mehr Aktivisten der Wendezeit ziehen sich aus der Politik zurück. Das Neue Forum etwa, das bei den letzten Wahlen noch gemeinsam mit den Grünen und dem Bündnis 90 um Stimmen stritt, beschäftigt sich inzwischen nur noch mit sich selber.

Anders ist es vor allem in Prenzlauer Berg. Hier sind allein in den letzten zwölf Monaten 50 neue Mitglieder zu den Bündnisgrünen gestoßen, gleichzeitig entwickelte sich dort ein Netzwerk von Kiez- Initiativen und Alternativkultur, das die Partei trägt. Bei den Kommunalwahlen 1992 errang das „Bündnis Prenzlauer“ immerhin fast 20 Prozent der Stimmen. Ein Rückschlag stellt für die Bündnisgrünen jedoch der Verzicht des populären Matthias Klipp auf das Amt des Baustadtrats dar.

Ähnliche Zusammenschlüsse arbeiten mehr recht als schlecht auch in Mitte und Friedrichshain, doch am östlichen Rand Ostberlins ist der Sog der mitgliederstarken und überall aktiven PDS so groß, daß dort kein Platz für ähnliche Netzwerke ist. Im Gegenteil: Auch die wenigen bezirklichen Aktivisten der Bündnisgrünen orientieren sich dort immer häufiger an der PDS.

Ganz offen wird teilweise darüber nachgedacht, ob man nach den Wahlen in der Bezirkspolitik enger mit den demokratischen Sozialisten kooperieren, möglicherweise sogar einem PDS-Bezirksbürgermeister ins Amt verhelfen soll. Doch darüber ist dort bereits jetzt heftiger innerparteilicher Streit entbrannt. In Hohenschönhausen etwa warf die bündnisgrüne Bezirksbürgermeisterin Brunhild Dahte nicht nur deshalb alles hin, weil für sie keine Aussicht bestand, auf ihren Sessel zurückzukehren. Im Gegensatz zu ihr verstehen sich die BVV-Mitglieder der Bündnisgrünen bereits bestens mit der bezirklichen PDS.

Doch nach den Bezirkswahlen werden die Bedingungen für die politische Arbeit in den Ostberliner Bezirken für die Bündnisgrünen noch wesentlich schlechter. Bislang konnten sie in fast allen Ostberliner Bezirken einen Stadtrat stellen, der die kommunalpolitische Arbeit der Partei organisatorisch und finanziell trug. Durch die Reduzierung der Zahl der Bezirksstadträte von sieben auf fünf besitzen die Bündnisgrünen aber nur noch in Prenzlauer Berg Aussichten auf einen solchen Posten.

In wöchentlichen Kneipengesprächen versucht Marianne Birtler derzeit in Prenzlauer Berg an der Basis für bündnisgrüne Ideen zu werben. Das Hinterzimmer ist gut gefüllt, doch bei den älteren Besuchern stoßen die Vorstellungen einer postindustriellen Arbeitsgesellschaft auf viel Mißtrauen. Die von der PDS ausgegebene Parole „Arbeit her“ oder das sozialdemokratische 100.000-Arbeitsplätze-Versprechen sind da viel einprägsamer als die komplexen Überlegungen einer neuen Struktur der Arbeitsmarktpolitik. Doch auch darüber, daß sich Bündnis 90/Die Grünen mit den Fischer-Thesen von solch kapitalismuskritischen Politikvorstellungen verabschiedet, beklagt sich nicht das Publikum, sondern die von der Kandidatin mitgebrachte Referentin.