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■ QuerspalteNichts gegen Sammer

Die Wahl des 23fachen DDR-Nationalspielers Matthias Sammer zu Deutschlands Fußballer des Jahres 1995 kam keineswegs überraschend. Im Sommer 1994 geschah es, daß die Nationalmannschaft – ohne Sammer – bei der WM gegen pommesvertilgende Bulgaren, die eigentlich viel zu faul zum Laufen waren, ausschied, und Berti Vogts erkannte sogleich, was der deutsche Fußball zur Bewältigung dieses Schocks braucht: ganze Kerle. Keine Zimperliesen, denen ständig die Achillessehne reißt oder die bei jedem kleinen Schubser ihre Zunge verschlucken; keine Wohlstandsjünglinge, die dem Publikum Finger bzw. Vögel zeigen und die es immer dann zwackt, wenn es um Ruhmestaten im Nationaltrikot geht. Keine Chance also für Matthäus, Klinsmann, Basler. „Mein Fußballer des Jahres ist Matthias Sammer“, sprach der Bundestrainer, und dieses einzige Mal gab ihm die Journalistenzunft recht.

Sammer also, der aufrechte Ärmelhochkrempler aus Dresden, der auch dann noch für die DDR spielte, als alle anderen Ost-Stars längst vergessen hatten, daß es solch einen Staat einmal gab. Der Freund deutlicher Worte, der bei seinem ersten Auftritt im BRD-Trikot eisern die Lippen zusammenkniff, als die fremde Hymne ertönte. Der wilde Kämpfer, der sich Platzwunden auf dem Spielfeld zusammentackern läßt, noch tritt und rackert, wenn alles verloren scheint, und Borussia Dortmund zur Meisterschaft trieb. Der treuherzige Deutsche, der sich bei Inter Mailand glatt weigerte, italienisch zu lernen, und alsbald reumütig heimkehrte.

Keine schlechte Wahl, dennoch ist Kritik zu üben. Es gibt nämlich einen, der alle Sammerschen Tugenden noch in viel höherem Maße verkörpert; der sich nicht nur weigerte, italienisch zu lernen, sondern Angebote aus Mailand rundweg ablehnte; dessen eiserne Stirn hundertprozentig platzwundenfest ist und der in seiner Opferbereitschaft so weit geht, daß er nun sogar HSV-Präsident wurde. Nichts gegen Matthias Sammer, aber es kann nur einen Fußballer des Jahres 1995 geben: Uwe Seeler. Matti Lieske

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