„Staat darf Kreuze anordnen“

■ Interview mit dem Verfassungsrechtler Peter Badura, Berater der bayerischen Staatsregierung im Kruzifix-Streit

Professor Peter Badura hat mit seinem Rechtsgutachten zum Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Grundlage für den Gesetzentwurf zur „Änderung über das Erziehungs- und Unterrichtswesen“ geschaffen, den die CSU möglichst schnell im Landtag durchpeitschen will. „Angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns ist in jedem Klassenraum ein Kreuz anzubringen“, heißt es darin unzweideutig. Während der ehemalige Verfassungsrichter Helmut Simon den Gesetzentwurf für verfassungswidrig hält und vor einer „Gesinnungsschnüffelei“ in Schulen warnt, verteidigt Badura den Entwurf.

taz: Dank Ihrer Beratung hat die bayerische Staatsregierung die vom Karlsruher Bundesverfassungsgericht (BVG) beanstandete Kruzifix-Verordnung als Gesetz wieder vorgelegt. Besteht kein Normwiederholungsverbot?

Peter Badura: Das BVG hat die Norm der bayerischen Schulordnung für ungültig erklärt. Insoweit ist eine Bindungswirkung eingetreten, die sich auf die Religionsfreiheit der betreffenden Schüler bezieht. Die Bindungswirkung reicht aber nicht so weit, daß der bayerische Gesetzgeber daran gehindert wäre, eine Regelung zu treffen, die das vom BVG gerügte Problem, nämlich die Berücksichtigung der Glaubensfreiheit andersgläubiger Schüler, in einer bestimmten Weise ordnet. Anstelle einer Verordnung ist jetzt eine gesetzliche Entscheidung getroffen worden, die den bisher nicht geregelten Konfliktfall ausdrücklich regelt.

Das BVG hat die staatliche Anordnung zum Anbringen von Kreuzen im Klassenzimmer beanstandet. Genau dies ist aber wieder Grundtenor des Gesetzentwurfes.

Wir haben die Entscheidung des BVG so verstanden, daß der Norm der bayerischen Schulordnung eine Ausgleichslösung für den Fall fehlte, daß ein Schüler andersgläubig ist und sich gegen das Anbringen des Kreuzes wendet. Die Staatsregierung und ich sind der Meinung, daß die bloße Anbringung des Kreuzes für sich alleine nicht gegen das Grundgesetz verstößt.

Ein trickreiches Vorgehen. Mit der Hereinnahme einer Widerspruchs- oder Konfliktregelung bezeichnet man das Urteil von Karlsruhe für erfüllt, egal wie diese Regelung auch aussieht.

Ja Gott, „erfüllt“, so kann man es nicht ausdrücken. Es ist eine bestimmte Norm für unzulässig erklärt worden und dadurch ist ein offener Bereich entstanden. Der muß nun zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens durch ein Gesetz gelöst werden. Dieses Gesetz darf nach wie vor Kreuze anordnen, aber es mußte eben eine Regelung für den Konfliktfall nachgeliefert werden. Der Gesetzentwurf enthält jetzt eine Generalklausel, auf deren Grundlage die Schulleitung Konflikte lösen und Entscheidungen fällen kann.

Die Klausel sieht vor, daß „der Wille der Mehrheit angemessen berücksichtigt“ werden muß. Karlsruhe hat jedoch eindeutig entschieden, daß in diesem Fall nicht die Mehrheit entscheidet, sondern das „Grundrecht auf Glaubensfreiheit in besonderem Maße den Schutz der Minderheit bezweckt“.

Da ist kein Widerspruch. Im Gesetz steht, daß, wenn eine gütliche Einigung nicht möglich ist, die Glaubensfreiheit des andersgläubigen Schülers und die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen aller Schüler berücksichtigt werden müssen, darunter auch der Umstand, daß die Mehrheit der Klasse dem christlichen Glauben angehört. Die Mehrheit berücksichtigen heißt ja nicht, daß sie immer durchkommt. Das heißt doch nur, daß man nicht nur den einen widersprechenden, sondern vielleicht auch die 25 anderen Schüler berücksichtigt.

Wie soll dies in der Praxis aussehen?

Eine reine Mehrheitslösung ist verfassungsrechtlich nicht möglich. Die bloße Tatsache, daß die Mehrheit Christen sind, darf nicht entscheiden. Der Einzelfall muß berücksichtigt werden. Bernd Siegler