„Ein Raum, in dem die Hoffnung wachsen kann“

■ Der diesjährige Literaturnobelpreis geht an den irischen Dichter Seamus Heaney. Er verbindet mystifizierende Naturlyrik mit der Anklage politischer Gewalt

Den Literaturnobelpreis wird in diesem Jahr an Seamus Heaney, den berühmtesten Dichter Irlands, verliehen werden. Das gab die Stockholmer Akademie gestern bekannt.

Als Anfang letzten Septembers die IRA die Waffen niederlegte, gab Heaney in einem Kommentar in der taz der Erleichterung Ausdruck: Die Beendigung der Gewalt biete Gelegenheit, „Raum zu schaffen – und nicht nur in der politischen Arena, sondern auf der obersten Ebene des Bewußtseins eines jeden –, einen Raum, in dem die Hoffnung wachsen kann.“ Auch das Gedicht, das wir hier abdrucken, wurde anläßlich der einseitigen Verkündung des Waffenstillstands durch die IRA geschrieben.

Im Mai 1968 war Heaney mit zwei Dichterkollegen quer durch Nordirland unterwegs gewesen. Sie traten mit einem Programm von Liedern und Gedichten auf, das „Raum für Reime“ hieß und ein Ausdruck der Hoffnung war, die Annäherung zwischen den Parteien des Nordirlandkonflikts könnte im Zuge des weltweiten Liberalisierungsschubs in Gang kommen.

Die Hoffnung trog bekanntlich. Nachdem die IRA alleine auf Gewalt zu setzen begann, wurden künstlerische und kulturelle Aktivitäten für lange Zeit von der Politik übermannt. In den siebziger und achtziger Jahren stand alles, was die Künstler taten, unter dem Bann der Eskalation der Gewalt. Nun erst würde man den „Raum für Reime“ gewinnen können, den es in den vergangenen 25 Jahren nicht gegeben hatte.

Heaney ist kein politischer Dichter im herkömmlichen Sinne. Und doch ist sein Werk überall von politischem Bewußtsein geprägt. Seamus Justin Heaney wurde am 13. April 1939 auf einem Bauernhof in der nordirischen Grafschaft Derry als Sohn katholischer Eltern geboren. Nach dem Besuch eines katholischen Internats studierte er in Belfast und schloß das Studium 1962 mit dem Lehrerexamen ab. Schon während der Studienzeit begann er über seine Kindheit und bäuerliche Herkunft zu schreiben. Von 1966 bis 1972 war er Dozent für neuere englische Literatur an der Belfaster Universität. 1972, nach dem „Blutigen Sonntag“, gab Heaney seine Stelle in Belfast auf und übersiedelte nach Glanmore, aufs Land in die Republik Irland, was ihm von einigen Kollegen als „Verrat“ ausgelegt wurde.

In dem Werk, das hier entstand, verbindet sich eine mystifizierende Naturlyrik von großer Eindringlichkeit mit der Anklage der politischen Gewalt – eine Kombination, die so kaum anderswo denkbar ist als in Irland, denn, wie Heaney 1979 schrieb: „Der Boden, den wir schon so lange behorcht,/ Ist verhornt oder blutig, und sein Eingeweide/ Wird von gottlosen Deutern sondiert./ Unsere Insel ist voll trostloser Geräusche.“

In der Begründung der Nobelpreisjury wird hervorgehoben, daß Heaney sich „für die Analyse der Gewalt in Nordirland eingesetzt“ habe. Heaney hat diese Analyse deshalb mit so großer Klarheit leisten können, weil er sich immer gegen die totale Politisierung seiner künstlerischen Arbeit gewehrt hat. Jörg Lau