Justitia wiegt Cannabis ab

■ JuristInnen fordern auf einer Tagung an der Uni Cannabis-Legalisierung

Beim Betäubungsmittelgesetz erhitzen sich seit Jahren die Gemüter von JuristInnen und PolitikerInnen, HascherInnen und legal betäubten BürgerInnen: Spiegelt dieses Gesetz überhaupt noch die gesellschaftliche Wirklichkeit wider? Nein, waren sich über 160 Rechts- und SozialwissenschaftlerInnen aus Deutschland, den USA, Kanada, Holland und Polen einig. Sie waren zum 6. internationalen Symposium zu „Cannabis-Politik, Strafrecht und Verfassung“ an der Uni Bremen gekommen.

„Als Strafrichter finde ich es sehr schwierig, ein Strafrecht durchzuhalten, das nicht der Wahrheit entspricht“, sagte gestern Hartmut Schneider, vorsitzender Richter am Landgericht Lübeck. Schneider hatte im Oktober 1994 für Aufsehen gesorgt, als er einem Händler mit rund vier Kilogramm Cannabis in der Tasche bescheinigte, unterhalb der juristisch bedeutsamen Grenze gehandelt zu haben.

„Strafe muß doch davon abhängen, wie stark die Volksgesundheit gefährdet ist“, sagte Schneider. Und Cannabis gefährde in keiner Weise die Volksgesundheit, pflichteten ihm seine KollegInnen bei. MedizinerInnen seien sich weltweit einig, daß Hasch weder Leib noch Seele gefährde. „Ja, es ist sogar gesünder als das Zellgift Alkohol“, sagte Lorenz Böllinger, Rechtswissenschaftler am Bremer Institut für Kriminalpolitik.

Aber gefährden bekiffte AutofahrerInnen nicht ihre Mitmenschen? Mitnichten, wie eine Untersuchung der Universität Maastricht gezeigt hat. Hindrik Robbe vom Institut für Human Psychopharmakologie hat angetrunkene und bekiffte Versuchspersonen im Auto durch Maastricht fahren lassen. Die alkoholisierten FahrerInnen machten viele Fehler und fuhren riskant. Nach der Testfahrt stritten sie alles ab, waren überzeugt, einwandfrei gefahren zu sein. Nicht so die Haschbenebelten: Sie hatten sich während der Fahrt unter Kontrolle und machten keine Fehler. Hinterher waren sie allerdings fest davon überzeugt, daß sie viel verkehrt gemacht hatten.

Auch das Vorurteil, Haschkonsum verführe unweigerlich zu härteren Drogen, ist nach einer Untersuchung des niederländischen Sozialforschers Peter Cohen haltlos: Lediglich vier Prozent der Cannabis-BenutzerInnen haben irgendwann in ihrem Leben Heroin ausprobiert. Und sind auch dann nicht abhängig geworden. Im HascherInnen-Paradies Amsterdam hatte Peter Cohen über 4.300 Menschen zwischen 1987 und 1994 drei Mal über ihren Cannabis-Konsum befragt. Obwohl der Stoff in allen Qualitäten dort mühelos zu kaufen ist, berauscht sich nur eine kleine Minderheit. 72 Prozent der Amsterdamer Bevölkerung über 12 Jahren hat demnach noch nie Cannabis geraucht oder gegessen. Und nur sechs Prozent der HascherInnen berauschen sich mindestens ein Mal im Monat, 94 Prozent wesentlich seltener.

Trotz dieser wissenschaftlichen Belege für das unschädliche Cannabis bleiben dessen GegnerInnen stur. Stephan Quensel, Sozialwissenschaftler an der Uni Bremen, hat analog zur politischen und religiösen Linie in den deutschen Bundesländer eine Cannabis-Grenze entlang von Elbe und Main festgestellt: Von Schleswig-Holstein bis Hessen stellt die Staatsanwaltschaft bis 30 Gramm Hasch in den Taschen eines Delinquenten ein Verfahren ein, in Bayern und Baden-Würtemberg nur bis zu drei bis fünf Gramm. Die Neuen Bundesländer haben überhaupt keine Regelung – dort habe man mehr mit der Droge Alkohol zu kämpfen.

In ganz Deutschland aber gilt, daß in Städten liberaler geurteilt wird als auf dem Land. Dort also, wo die Bevölkerung der Propaganda ausgesetzt ist, deren einziger Grund die Angst vor Veränderung ist. So wie das bayerische Oberlandesgericht 1969 ausgedrückt hat: „Cannabis gefährdet die bestehende Ordnung der Dinge“. ufo