Dicke Rosinen rausgepickt

Der Bund will erwartungsgemäß vor allem repräsentative Kulturinstitutionen unterstützen – und dort nun auch in Personalfragen mitreden  ■ Von Ulrich Clewing

Als die Notgemeinschaft der Berliner Kulturschaffenden, der Rat für die Künste, im vergangenen Frühjahr aus Bonn zurückkehrte, war kollektives Schulterklopfen angesagt. Die eigene Verhandlungsstrategie, so die Theatermacher und Museumsleute, sei erheblich effizienter gewesen als die des Senats: 30 Millionen Mark extra habe man beim Bund als Unterstützung für die finanziell darniederliegende Berliner Kulturlandschaft herausgeschlagen. 1996 dürfe Berlin sogar mit 60 Millionen Mark Zuschuß aus Bonn rechnen.

Eine feine Sache, keine Frage. Andererseits ist dies ein schönes Beispiel dafür, daß – will man die Errungenschaften der Politik so richtig würdigen – eine gewisse Gedächtnisschwäche durchaus hilfreich ist. Denn daß der Bund sich am Berliner Kulturhaushalt beteiligt, ist nicht neu. 1991 waren es beachtliche 210 Millionen Mark, im Jahr darauf immerhin noch 160, 1993 dann 108 Millionen. Mit Abschluß des Hauptstadtvertrags taten sich die großen Löcher auf: 1994 gab es plötzlich kein Geld mehr vom Bund, die Förderung sollte erst ab 1996 wiederaufgenommen werden, mit 60 Millionen Mark pro Jahr. Was jetzt als Erfolg gefeiert wird, ist mithin nicht mehr als ein Almosen.

Auch sonst gibt es wenig Grund, auf den Kuhhandel zwischen Bonn und Berlin stolz zu sein. Laut Beschluß des Kuratoriums – in dem unter anderem Bundesinnenminister Manfred Kanther, Kanzleramtsminister Anton Pfeifer, Eberhard Diepgen, die Senatoren Ulrich Roloff-Momin und Elmar Pieroth sowie der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Böger sitzen – werden in diesem Jahr unterstützt: die Staatsoper, die Deutsche Oper, das Deutsche Theater und das Schauspielhaus – Institutionen, mit denen sich prima repräsentieren läßt, echte Rosinen. Für die notwendige kulturelle Vielfalt einer Metropole wie Berlin stehen diese Einrichtungen jedoch sicher nicht.

Und es spricht derzeit wenig dafür, daß sich das auf absehbare Zeit ändern wird. Im kommenden Jahr sollen weitere Institutionen in den Genuß von Bundeszuschüssen kommen: der Martin-Gropius- Bau, in dem eine zweite Bundeskunsthalle nach Bonner Vorbild eingerichtet werden soll; ferner das über alle Zweifel erhabene Haus der Kulturen der Welt, der Marlene-Dietrich-Nachlaß, das Deutsch- Russische Museum in Karlshorst und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand.

Doch wer gibt, will Gegenleistungen. Die Vertreter des Bundes haben sich, wie jetzt peu à peu durchsickert, im Gegenzug ausbedungen, bei Personalentscheidungen in den geförderten Einrichtungen mitzureden. Man braucht nur wenig Phantasie, um sich vorzustellen, wohin das führen kann. Die lästige, unbeugsame Frau Wiegand-Kanzaki vom Haus der Kulturen der Welt? Weg mit ihr! Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die durch die Ehrung Walter Ulbrichts in konservativen Kreisen Anstoß erregte? Deren Gestaltungsverantwortliche sollten sich besser schnell eines anderen besinnen, schließlich ist der deutsche Widerstand kommunistenfrei. Die Befreiung Deutschlands durch die Russen? Die war vielleicht doch nicht so, wie es uns die Leitung des historischen Museums in Karlshorst glauben machen möchte.

Die Berliner CDU sieht das freilich ganz anders. Das verwundert nicht weiter, hält man sich vor Augen, daß Diepgen vor den Verhandlungen mit Bonn in vorauseilendem Gehorsam die Devise ausgab, „überzogene“ Forderungen der Berliner Kulturpolitiker dürften keinesfalls den Regierungsumzug als solchen gefährden. Der kulturpolitische Sprecher der CDU- Fraktion im Abgeordnetenhaus, Uwe Lehmann-Brauns, übt sich denn auch in Bescheidenheit. Er ist in erster Linie froh, daß sich der Bund überhaupt zu einer Förderung der Berliner Kultur durchgerungen hat.

Daß bei Personalentscheidungen mitgeredet werden soll, ist nach Lehmann-Brauns ein Zeichen dafür, daß Bonn nicht nur Geld geben wird, sondern darüber hinaus auch Verantwortungsgefühl für die hiesige Szene entwickelt. Befürchtungen, der Bund könne sich so zu unbotmäßigen Einflußnahmen aufgerufen sehen, teilt der CDU-Mann, der als einer der potentiellen Nachfolger von Kultursenator Ulrich Roloff-Momin gehandelt wird, nicht. Vielmehr sei dadurch gesichert, daß die Bonner sich die Sache nicht auf einmal anders überlegen und die Geldhähne wieder zudrehen.

Mit „großer Gelassenheit“ harrt auch Klaus Siebenhaar vom Deutschen Theater, einer der direkt Betroffenen also, der Dinge, die da kommen. Siebenhaar wünscht sich von Bonn „distanzierte Nähe“ im Umgang mit der Berliner Kultur. Außerdem: Das Gezerre hinter den Kulissen habe in Berlin Tradition. „Man könnte fast zynisch sagen: Ist doch egal, ob sich der Senator, der Innenminister oder der Bundeskanzler in Personalentscheidungen einmischen.“ Wenn Politiker kungeln, glaubt Siebenhaar, „können Sie das durch nichts und niemanden verhindern“.