Exportschlager Altpapier

■ Die Nutzung von Recyclingpapier nimmt zu, allerdings auch die Waldvernichtung durch Zellstoffproduktion. Deutsche sammeln Altpapier für ausländische Märkte

Früher war es ganz einfach: Recyclingpapier war grau, auf der Verpackung warb ein in symbolträchtigem Grün gehaltener Aufdruck um das ökologische Gewissen der Verbraucher. „Richtiges“ Papier dagegen kam strahlend weiß daher und machte mit dem Hinweis „holzfrei“ auf sich aufmerksam, was natürlich mitnichten bedeutet, daß für dieses Produkt kein Baum sein Leben lassen mußte, sondern daß es aus reinem Zellstoff hergestellt wird. Für dessen Gewinnung wiederum – das steht natürlich nicht auf der Verpackung – muß nicht nur massenhaft das Holz geschlagen, sondern anschließend auch noch hochgradig umweltbelastend weiterverarbeitet werden.

Irgendwann setzte sich die Tendenz durch, die Zellulose nicht mehr mit Chlor, sondern mit Sauerstoff zu bleichen. Das ist auf den Produkten, vom Klopierpapier bis zur Babywindel, ebenfalls auffällig vermerkt, wegen der Symbolträchtigkeit diesmal in Blau. Und viele nehmen inzwischen offenbar an, daß sie damit ein besonders umweltfreundliches Produkt erwerben – einer von den Irrtümern, die sich unter den Papierkonsumenten verbreitet haben. Bevor der Zellstoff überhaupt gebleicht werden kann, muß er nämlich zunächst gewonnen werden. Rund die Hälfte des eingesetzten Rohstoffes bleibt dabei auf der Strecke, der Verbrauch an Wasser und Energie ist horrend. Immerhin gibt es inzwischen Verfahren, die statt anorganischer Säuren umweltverträglichere Substanzen einsetzen. Doch marktfähig sind sie offenbar noch nicht: Die „Organozell“-Zellfabrik in Kelheim mußte vor einigen Jahren schließen, weil sie mit der übermächtigen Konkurrenz, vor allem aus Kanada, preislich nicht mithalten konnte. In Nordamerika, aber auch in Skandinavien und Japan sind derart große Kapazitäten zur Zellstoffproduktion entstanden, daß nicht nur die umweltfreundlicheren Verfahren der Frischfasergewinnung, sondern auch Recyclingprodukte im harten Preiskampf stehen. Jupp Trauth vom „Forum Ökologie und Papier“ (FÖP), einem in diesem Jahr gegründeten Zusammenschluß von Papierexperten, nennt die ökologischen Konsequenzen dieser Situation „idiotisch“: Billigware aus Übersee wird über Tausende von Kilometern herangeschafft, während gleichzeitig Holz aus Mitteleuropa exportiert wird, um in Übersee verarbeitet zu werden. Und nicht nur das: Weil Verleger, Druckindustrie und Großhandel einer gesetzlichen Verpflichtung zur Abfallrücknahme – analog zur Verpackungsverordnung – zuvorkommen wollten und sich im Oktober 1994 freiwillig zur Steigerung der Altpapierverwertung verpflichteten, üben sie entsprechenden Druck auf ihre in- und ausländischen Lieferanten aus. Deshalb wird jetzt Altpapier aus Deutschland nach Skandinavien verfrachtet, um von dort als Druckpapier wieder zurückzukommen.

Derartige Wirrungen gibt es allerdings nicht erst seit kurzem. Der flächendeckende Ausbau des Sammelsystems und der Erlaß der Verpackungsverordnung führten Anfang der neunziger Jahre zu einem zeitweisen Überangebot des Sekundärrohstoffes Papier. Also wurde exportiert – bis nach Thailand oder Korea gelangten ausgelesene Zeitungen und zerknüllte Kartons aus deutschen Altpapiercontainern, rund ein Viertel des Sammelguts ging so über die Landesgrenzen. Als die Nachfrage hierzulande wieder stieg, ließ sie sich wegen langfristiger Lieferverträge mit dem Ausland nicht decken. Im letzten Jahr stieg der Altpapierpreis daraufhin um fast 400 Prozent.

Auf den rohstoffarmen Märkten der asiatischen Industrienationen lassen sich indes noch bessere Preise erzielen, und deshalb steigt der Export nach Schätzung von Branchenkennern weiter. Die paradoxe Folge: Während die Deutschen die weltweit fleißigsten Altpapiersammler sind und in diesem Jahr voraussichtlich rund 11 Millionen Tonnen der Wiederverwertung zuführen werden, läßt sich die Inlandsnachfrage kaum und nur zu reichlich hohen Preisen decken. Dabei belegt die hiesige Papierindustrie mit einem Altpapiereinsatz von etwa 55 Prozent keineswegs einen Spitzenplatz in der EU. Die Niederlande, Dänemark, Spanien und Großbritannien erreichen deutlich höhere Werte – zum Teil mit Rohstoffen aus deutschen Altpapiersammlungen.

Den Papierkonzernen dürfte das relativ egal sein. Sie sind international verflochten und spielen dementsprechend, so Jupp Trauth, „eine zweischneidige Rolle“, weil sie meist nicht nur Papier, sondern auch Zellstoff anbieten. Der Markt nimmt beides ab, er ist gespalten: Druckpapiere – mit Ausnahme von Zeitungspapier – sind überwiegend aus Frischstoffen hergestellt, reine Recyclingpapiere werden noch immer vor allem zu „minderwertigen“ Produkten verarbeitet. Die Qualität nimmt dabei mit jeder Neuverwertung wegen der Verunreinigung mit Druckfarbe, Leim und Fremdstoffen ab, so daß in der Branche wieder der Ruf nach einer getrennten Sammlung von höherwertigem Zeitungspapier und den nur beschränkt brauchbaren Kartonprodukten laut wird. Eine Alternative wäre nicht nur nach Meinung des FÖP die Zugabe von Frischstoffen, weil sich dadurch die Qualität je nach Bedarf steuern ließe. Damit, so Jupp Trauth, könnte auch die Altware aufgewertet werden „zu einem schönen Papier, daß man wirklich für alles nehmen kann“. Jochen Siemer

FÖP, nächstes Arbeitstreffen am 1. 12. 95, Kontakt: Jupp Trauth, Tel. 06762-8750.