In Sarajevo keimt Hoffnung auf

Doch über die Verwirklichung des Waffenstillstandsabkommens für Bosnien herrscht noch Skepsis vor. Über Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen ist bislang nichts bekannt  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Die Fernsehbilder von Bill Clintons Rede über den Waffenstillstand in Bosnien-Herzegowina habe er auch sehen wollen, sagt Enes Mehmedanović, ein 25jähriger Graphiker aus Sarajevo, am Telefon. Leider gebe es noch keinen Strom, um das auch zu tun. Aber die im Waffenstillstandsabkommen festgelegten Punkte seien doch vielversprechend. „Wenn Strom, Wasser und Gas wieder funktionieren, kommen wir zumindest über den Winter“, sagt er vorsichtig optimistisch.

Die Hoffnungen und Wünsche der Bewohner Sarajevos sind nach mehr drei Jahren Krieg sehr bescheiden geworden. Zu oft wurden sie enttäuscht, so zum letztenmal nach den Nato-Bombardements vor einem Monat, als ebenfalls die Öffnung der Zufahrtswege in die belagerte Stadt verprochen worden war. Daß jetzt wirklich alles anders werden soll, mögen so nur wenige glauben.

Doch nach den zustimmenden Worten von Bosniens Präsident Alija Izetbegović zeichnet sich nun tatsächlich ein Hoffnungsschimmer ab. Auch aus der serbischen Hauptstadt Belgrad kommen optimistische Töne.

Der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić und sein General Ratko Mladić sowie der legitime Präsident Bosnien-Herzegowinas Izetbegović haben das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, nicht jedoch ein Vertreter der bosnischen Kroaten, die lediglich signalisierten, das Abkommen zu respektieren. Auch US- Unterhändler Richard Holbrooke gibt sich optimistisch, wenngleich er in der Beurteilung der Erfolgsaussichten vorsichtiger ist als sein auf innenpolitischen Lorbeer abzielender Präsident im Weißen Haus.

Denn Holbrooke weiß, daß der Teufel im Detail steckt. So wird in dem Abkommen die Versorgung mit Gas, Wasser und Elektrizität für die Hauptstadt als Voraussetzung für den Beginn des Waffenstillstandsabkommens am 10. Oktober 00.01 Uhr bezeichnet. Wegen der Reparaturarbeiten der Leitungssysteme könnte sich dies jedoch verzögern. Für diesen Fall ist vorgesehen, daß der Waffenstillstand um 00.01 Uhr an dem Tag nach der Wiederherstellung der Versorgung der Stadt in Kraft tritt.

Schwieriger dagegen könnte es mit der versprochenen Deblockierung Sarajevos und der Enklave Goražde im Osten des Landes werden. Das Abkommen sieht die freie Durchfahrt auf zwei Hauptstraßen ab dem Stichtag vor. Werden also alle Waffen abgezogen, die den Verkehr bedrohen könnten? Werden serbische Kontrollen an den Zufahrtswegen zugelassen? Werden die Scharfschützen abgezogen oder entwaffnet? Wenn diese Details nicht geklärt werden, kann das gesamte Abkommen immer wieder in Frage gestellt werden.

Vorgesehen ist, daß alle Parteien am Stichtag sicherstellen, daß ihre Militärkommandeure eindeutige Befehle erteilen und deren Befolgung auch durchsetzen. Damit sollen offensive Operationen ebenso ausgeschlossen werden wie Patrouillenaktivitäten über die eignenen militärischen Positionen hinaus, Aktivitäten von Scharfschützen, die Verlegung zusätzlicher Minen und die Errichtung zusätzlicher Sperren. Darüber hinaus sollen alle Parteien die Kontrolle des Waffenstillstandes durch die Unprofor unterstützen und Verletzungen den zuständigen Stellen melden. Mit der vereinbarten Freilassung der Gefangenen dürfte es kaum Probleme geben, mit der Wiederherstellung der Rechtssicherheit aller Bürger in allen Teilen des Landes allerdings schon. Darunter fällt nämlich auch das Recht der Flüchtlinge auf Heimkehr und die Wiederinbesitznahme ihres Eigentums.

Die entscheidende Frage wurde bisher nicht öffentlich beantwortet: Wie werden Regelverstöße sanktioniert? Durch die UNO, die Nato oder durch die jeweiligen Armeen und Polizeikräfte selbst? Die Menschen in Sarajevo haben allen Grund, vorerst skeptisch zu bleiben.

Pessimistisch stimmen auch die Vorgänge an den Fronten selbst. Die Unterschrift unter das Waffenstillstandsabkommen war noch nicht trocken, da kamen die Nachrichten von weiteren Kämpfen in Westbosnien und südlich von Sarajevo.

In Westbosnien wollen die serbisch-bosnischen Streitkräfte die Stadt Kljuc zurückerobert haben, die bosnische Seite schweigt bislang dazu. Auch bei den Kämpfen um das südlich von Banja Luka liegende Skender Vakuf müssen nach noch unbestätigten Berichten die bosnischen Streitkräfte Verluste erlitten haben. Dagegen sind bosnische Truppen südlich von Sarajevo in Trnovo in Richtung der Enklave Goražde vorgerückt. „Daß die Kämpfe sich wieder intensivieren, ist ein schlechtes Vorzeichen für den Waffenstillstand“, sagt auch Enes Mehmedanović in Sarajevo.