Bei Gericht türmen sich die Klagen

In Ostdeutschland lehnt jeder 12. Haushalt die Mieterhöhungen der Wohnungsunternehmen ab, in den Großstädten hat jeder 10. Haushalt Mietschulden, insgesamt 700 Millionen Mark  ■ Aus Berlin Christoph Seils

„Es ist noch nie jemand Weltmeister geworden, der 1:0 führt“, spottete der Verband der Berlin- Brandenburgischen Wohnungsunternehmen noch in der vergangenen Woche, als die erste Klage eines Mieters gegen die seit dem Sommer gültigen Mieterhöhungen in den fünf neuen Bundesländern Erfolg hatte. Inzwischen steht es 3:0 für die ostdeutschen MieterInnen, ein Ende der gerichtlichen Auseinandersetzungen ist noch nicht abzusehen.

Seit der Bundestag im Frühsommer das Mietenüberleitungsgesetz (MÜG) verabschiedet hat, wird die Frage, ob „und“ „und“ bedeutet oder „oder“ zwischen Mietern und Vermietern in den neuen Bundesländern heftig diskutiert. Bei Wohnungen, die „nicht mit einer Zentralheizung und einem Bad ausgestattet sind“, so steht es schlampig formuliert und interpretationsfähig im Gesetzestext, durfte die Mieterhöhung nur 10 statt 15 Prozent betragen. Während es der erklärte Wille des Gesetzgebers war, MieterInnen, in deren Wohnung eines der beiden Ausstattungsmerkmale fehlt, in den Genuß der niedrigeren Miete kommen zu lassen, hatten Unternehmen der Wohnungswirtschaft – von ihrem Gesamtverband dazu aufgefordert – darauf gesetzt, in jedem Fall die höhere Miete zu kassieren. Während es für den einzelnen Mieter nur um Beträge zwischen 10 und 20 Mark im Monat geht, stehen für die ostdeutsche Wohnungswirtschaft Millionen auf dem Spiel, für Fair-Play ist da wenig Platz.

Seit dem 1. Juli gilt das MÜG. Auf die Amtsgerichte in den neuen Bundesländern kommt seitdem eine Flut von Klagen zu, die kaum noch zu bewältigen ist. Nach Auskunft des Bundesbauministeriums haben zwischen 7 und 8 Prozent der MieterInnen in den neuen Bundesländern ihre Zustimmung zur Mieterhöhung nicht erteilt. Die Mietervereine schätzen, daß davon maximal ein Drittel auch vor Gericht zieht. Geht man davon aus, daß jeder vierte Mieterhöhungsbescheid, der im Sommer verschickt wurde, falsch war, sind dies zwar noch wenig, dennoch sind die Amtsgerichte vollkommen überfordert.

Das Amtsgericht Berlin-Köpenick etwa rechnet mit 3.000 zusätzlichen Verfahren. Angesichts von schon jetzt 4.600 Mietrechtsverfahren im Jahr ist der Mehraufwand kaum mehr zu bewältigen. Er wäre noch größer, hätten die kommunalen Wohnungsgesellschaften in den neuen Bundesländern nicht ein Einsehen gehabt. Nach Protesten von MieterInnen oder Einsprüchen von Politikern, haben sie sich dem Willen des Gesetzgebers gebeugt und in den umstrittenen Fällen den niedrigeren Mietsatz angesetzt.

Doch nicht nur die richtige Auslegung des MÜG beschäftigt die Gerichte, sondern auch die Frage, ob der Zustand der Wohnung eine Mieterhöhung überhaupt rechtfertigt. Bei einem „erheblichen Mangel“ kann davon abgesehen werden, doch was ein „erheblicher Mangel“ ist, auch darüber wird vor ostdeutschen Gerichten heftig und in zahlreichen Verfahren gestritten. Ende 1997 soll das westdeutsche Vergleichsmietensystem in den neuen Bundesländern endgültig eingeführt werden, doch immer mehr ostdeutsche MieterInnen könne schon jetzt ihre Miete nicht zahlen. Auf über 700 Millionen Mark beläuft sich nach eigenen Angaben inzwischen die Summe der Mietschulden bei den Wohnungsunternehmen in den neuen Bundesländern.

In ostdeutschen Großstädten wie Leipzig, Halle oder in der östlichen Stadthälfte von Berlin hat bald bereits jeder zehnte Haushalt Mietschulden. In Berlin sind schon jetzt die Schuldnerberatungsstellen und Sozialämter in einigen Bezirken völlig überlastet, so daß die notwendige Unterstützung nicht mehr geleistet werden kann. Häufig stellen die Beratungsstellen fest, daß sich die ostdeutschen MieterInnen gar nicht bewußt sind, daß sie durch Mietschulden ihre Wohnung aufs Spiel setzen. Denn während in der DDR Mietschulden ein Kavaliersdelikt waren, das höchstens einen Anschlag am Schwarzen Brett oder eine Ermahnung durch den Gewerkschaftssekretär zur Folge hatte, drohen jetzt nach zwei nicht bezahlten Mieten die fristlose Kündigung und Obdachlosigkeit.

Nicht selten jedoch sind die Mietschulden der Wohnungsunternehmen allerdings auch hausgemacht. Schlampige Buchhaltung, Mitminderungen aufgrund von Wohnungsmängel oder nicht geklärte Meinungsverschiedenheiten, etwa über die Wohnungsgröße oder die Gültigkeit von Mieterhöhungsbescheiden, lassen auch den Teil der Mietschulden ständig ansteigen, der real überhaupt nicht existiert. Über die Höhe schweigen sich die Wohnungsunternehmen allerdings aus. Im brandenburgischen Cottbus etwa stand jetzt eine Familie vor Gericht, von der die örtliche Wohnungsbaugesellschaft über 8.000 Mark Mietschulden eintreiben wollte. Allerdings war die Wohnungsbaugesellschaft in mehr als einem Jahr nicht in der Lage gewesen, einen rechtsgültigen Mieterhöhungsbescheid zuzustellen. Aus Leipzig sind Fälle bekannt, in denen es der städtischen Wohnungs- und Baugesellschaft trotz mehrmaligen Nachmessens nicht gelungen ist, die exakte Wohnungsgröße zu ermitteln.

Es gibt jedoch auch ganz andere MietschuldnerInnen. Ebenfalls in Cottbus mußte ein kaufmännischer Direktor der städtischen Wohnungsgesellschaft im Sommer seinen Hut nehmen, weil auch er über 10.000 Mark Mietschulden bei seiner eigenen Wohnung hatte auflaufen lassen.