Unter Grauen dominiert die Unruh

■ Eine Frau macht sich zum Programm: Trude Unruh präsidiert dem „Grauen“-Parteitag mit Populismus und Diktat

Berlin (taz) – Ihr Name ist Programm. Trude Unruh, 70, stimmgewaltige Vorzeigefrau der Grauen. Seit gestern sitzt sie dem diesjährigen Bundesparteitag der Alten vor. Zwei Tage wollen die 240 angereisten Parteimitglieder ihre Zukunft ausloten. Als Motto hat die Vorsitzende vorgegeben: „Erst der Bürger – dann der Staat! Denn der Staat sind wir – wir die Bürger.“ Vor allem eben Trude Unruh.

Ein 20-Punkte-Programm hat sie verfaßt. Eine Mindestrente fordert sie, in deren Kasse alle einzahlen. Die Pensionen sollen nach oben begrenzt sein, 4.000 Mark – selbst der Bundeskanzler kriegt nicht mehr. Berufsbeamte soll es nur noch ganz wenige geben. Natürlich werden dem Militär und der Rüstungsforschung staatliche Förderung untersagt; Müll wird ab sofort vermieden; und die Mieten werden auf 20 Prozent des Nettoeinkommens eingefroren. Unruhs Vorgaben sind populär, kommen an bei den Delegierten. „Trude Unruhs Programm finde ich gut“, befindet auch Günter Dohmke, der Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen. Und dennoch sähe der Mann die streitbare Alte am liebsten von hinten.

Diktatorisch sei ihr Stil, sie sonne sich im Personenkult. Nur was Trude Unruh persönlich als Leitlinie zur Politik erkläre, werde als innerparteiliche Meinung akzeptiert. Dohmke und seine Freunde wissen ihr manches vorzuwerfen. „Mehr Demokratie“, fordern sie. Aber nicht laut.

Unruhs präsidialer Stuhl soll auf Umwegen angesägt werden. Die Einladungen zum Parteitag seien nicht rechtzeitig herausgegeben worden, sie hätten keine Gegelegenheit gehabt, ihre Anträge, über die der Parteitag abstimmen soll, zu formulieren. Schnell sammeln die NRWler 40 Unterschriften, sie bezweifeln, daß der Parteitag auf rechtmäßiger Basis steht. Doch die quicke Unruh wittert den aufziehenden Sturm. Sie läßt abstimmen. Reicht es nicht aus, daß die Anträge auch jetzt noch angenommen werden? Einmal, zweimal, dreimal werden Stimmkarten hochgehalten. Es steht schlecht um Unruhs Mehrheit. Doch sie ist clever. „Ich habe Doppelstimmen festgestellt“, ruft sie. Einzeln erklimmen die Grauen das Podium und lassen ihre Meinung auf einer Liste abstreichen. Am Ende reicht es. Noch ist Trude Unruh die Königin der „Überpartei Die Grauen“, wie es auf Wahlplakaten in Berlin heißt. Annette Rogalla