Sakraler Festschmaus für die Ohren

■ Abschluß des Musikfests: Das Hilliard Ensemble & Jan Garbarek zauberten im Dom

Auch bei der scheinbar so über den Zeitgeist erhabenen E-Musik gibt es Moden, Hits und Stars, und seit einigen Jahren steht die sakrale Vokalmusik aus dem Mittelalter ganz hoch im Kurs. Die armen Mönche, die in aller Unschuld mal ein Aufnahmen von ihren gregorianischen Gesängen als CD veröffentlichen ließen, wurden nach deren immensen Verkaufserfolg in ihrem Kloster in Spanien von Medien und Fans geradezu belagert. Und auch der „überraschende Welterfolg“ (so der Pressetext vom Musikfest) der Zusammenarbeit des Hilliard Ensembles mit Jan Garbarek auf der CD „Officium“ hat sicher etwas mit dieser neuerlichen Sehnsucht nach christlich-reinem Männergesang zu tun.

Aber solche Spekulationen wurden schnell müßig wenn man im vollbesetzten Dom saß und erlebte, wie diese fünf Musiker mit ihrer intimen, hochartifiziellen Musik die Zuhörer – mehr als 1700 waren hergepilgert – vom ersten Ton an in ihren Bann zogen. Jeder der vier Sänger begann seine mit vokalen Koloraturen verzierte Stundengebete für sich in einer Ecke der großen Kirche, so daß ihr Gesang in einer ganz eigentümlichen Akustik durch die Kirche zu schweben schien.

Je nach dem Standort des Zuhörers klang dieser Gesang überall anders: die weit entfernten Stimmen erahnte man fast nur, während der Sänger aus der eigenen Himmelsrichtung vielleicht nur wenige Meter an einem vorbeischritt. Im Zentrum der Kirche trafen die vier dann mit dem Saxophonisten Jan Garbarek zusammen, der durch seinen elegisch klagenden Ton auf dem Soprano die sakrale Stimmung des kunstvoll mehrstimmigen Gesang genau traf und verstärkte. Eine solch geschickte Dramaturgie legten die Musiker hin, daß sie – in aller frommen Unschuld – auch ein ganz weltliches Gespür für eine gute Show bewiesen.

Dabei harmonierte Garbarek erstaunlich gut mit den vier englischen Sängern – nicht so sehr, weil er ihren Stil nachempfindet, sondern eher, weil sein Temperament ihrem ähnelt. Nicht umsonst spielt Garbarek auch mit seiner eigenen Band gerne in Kirchen. Sein pathetisch-klagender Stil war in den 70er und 80er Jahren solange sein Markenzeichen gewesen, daß er vielen Jazzfreunden schon wieder aus den Ohren herauskam. Dieses Projekt könnte man also fast als einen Rückfall in alte Unarten nennen, wenn sein Ton sich nicht so wunderschön in diese alte Musik einfügen würde. Außerdem hielt er sich so zurück, daß er (anders als in alten Tagen) nie penetrant wirkte, und trotz der durchgängigen Grundstimmung spielte er so abwechslungsreich, daß er sich hier auch als Jazzer behaupten konnte und weitaus mehr als nur hochkultiviert geblasene Verschnörkelungen lieferte.

Das Hilliard Ensemble bestach dagegen duch seinen makelosen Ton. Ohne akustische Verstärkung konnten diese vier Männer mit ihren Stimmen die Kirche mit Klang füllen. Die einzelnen Worte der lateinischen Gebete wurden mit immer abenteuerlicher werdenden Stimmkünsten umspielt, verziert und bejubelt. Dieser reine, ganz unschuldig wirkende Schönklang ist es wohl, der an dieser alten Vokaltechnik heute so fasziniert – und an diesem Abend wurde diese Musik in solch einer süßen Pracht dargeboten, daß man auch als Ungläubiger fast in religiöse Verzückung versetzt wurde.

Willy Taub