Scherfs Abgesang auf Bremer Sanierung

■ Bürgermeister sieht „null Chance“ für Entschuldungs-Ziel / Gerhard Schröder „ein Schwein“

„Der Bürgermeister neigt zu drastischen Worten, aber im Kern hat er doch gar nichts Neues gesagt.“ Mit diesem Satz versuchte Senatssprecher Klaus Sondergeld gestern die Wogen zu glätten, die sich seit Samstag pünktlich zum Ablauf der ersten hundert Amtstage vor Bürgermeister Henning Scherf aufbauen. Anlaß sind ein paar deutliche Sätze, die Scherf vor 120 GewerkschafterInnen und WirtschaftswissenschaftlerInnen auf der Feier zum 20. Jubiläum der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik im Bremer Konsul-Hackfeld-Haus fallengelassen hatte. Die klangen wie der Abgesang auf den Erfolg des Bremer Sanierungsprogramms und waren ein Hilferuf um wirtschaftspolitischen Beistand in dieser schwierigen Lage.

„Wir haben null Chance, mit den Daten von 1992 abzurechnen“, sagte Scherf wörtlich in Bezug auf die nach dem Karlsruher Verfassungsgerichtsurteil aufgestellten Bedingungen der Neun-Milliarden-Hilfe von Bund und Ländern für das kleinste Bundesland. Der Konjunktureinbruch der Jahre 1993 und 1994 habe sämtliche Sanierungsprognosen zunichte gemacht. „Ich finde zur Zeit nicht einmal mehr jemanden, der uns wirtschaftspolitisch fachlich berät“, klagte Scherf weiter. Alles was er bekomme, seien „Suizidvorschläge“. Trotzdem wolle er weiterhin versuchen, „aus dem Abwickeln einen Neuanfang zu machen“.

Während Finanzsenator Ulrich Nölle nach diesem Eingeständnis gestern nur intern protestierte, öffentlich aber noch die Luft anhielt, ging die AfB hart mit Scherf ins Gericht: „Dieser geschwätzige Umgang mit bremischen Interessen disqualifiziert den Präsidenten des Senats“, heißt es in einer Erklärung der Abgeordneten Elke Kröning und Friedrich Rebers. Die Gefahr sei „groß, daß jegliche Haushaltsdisziplin und jeder Gestaltungswille erlahmen, wenn der Präsident des Senats vom Mißerfolg der Sanierung ausgeht. So kann die Große Koalition nicht zum Erfolg führen.“

Scherf rechtfertigte am Samstag auch sein Modell, im Öffentlichen Dienst Arbeitszeit und Lohn um neun Prozent zu kürzen. „Dieser Solidarpakt ist mit den Spitzenfunktionären der Gewerkschaft abgestimmt“, erklärte er, ohne jedoch Namen zu nennen. Er fühle sich in dieser Frage „wie ein Minenhund“, so Scherf: „Einer prescht vor, und wenn er durchkommt, laufen alle anderen hinterher.“

Einmal in Fahrt ging Scherf auch den niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder scharf an. Der „große Zampano“ solle erst einmal in seinem eigenen Land beweisen, welche wirtschaftspolitischen Alternativen er habe. „Ich habe bislang trotz großer Anstrengung von Gerhard Schröder noch keinen einzigen Satz zu sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik gehört.“ Erst wenn der Niedersachse im eigenen Land ein positives Beispiel böte, sei er bereit, so Scherf, „ihn gegen alle zu verteidigen, die ihn ein Schwein nennen“.

Aus dem Weg ging der Bürgermeister dann allerdings der Frage, ob die Arbeitsplätze im Bremer Dasa-Werk auch mit Rüstungsaufträgen wie dem „Eurofighter“ gesichert werden sollten. Seine Rede enthielt kein einziges Wort zu diesem Thema. Das wurde anschließend von dem Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel angesprochen, als er jeden Versuch verurteilte, über Rüstung Beschäftigung zu sichern: „Rüstungsprojekte werden sich langfristig immer gegen die Interessen der Beschäftigten richten.“

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, der auch Hickel angehört, legt jedes Jahr ein Wirtschaftsmemorandum vor, das sich bewußt als „Gegengutachten“ zu den Erkenntnissen des konservativeren „Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ („Rat der fünf Weisen“) versteht. Ase