Die Grausamkeiten kommen erst noch

■ Wie die Finanzen Berlins sanieren? Streitgespräch zwischen Michaele Schreyer (Bündnis 90/Die Grünen) und Klaus Franke (CDU)

Die bündnisgrüne Finanzexpertin Michaele Schreyer war 1989/90 Umweltsenatorin. Der ehemalige Bausenator Klaus Franke (CDU) ist Vorsitzender des Haushaltsausschusses.

taz: Je näher der Wahltermin rückt, um so weniger wird von den Finanzen gesprochen. Dabei weiß jeder, daß weitere Einschnitte notwendig sind. Was dürfen wir denn nach dem 22. Oktober erwarten?

Klaus Franke: Angesichts der finanziellen Situation der Stadt wird es auf jeden Fall einen Nachtragshaushalt geben müssen, unabhängig von der künftigen Regierungskoalition.

Was heißt das?

Franke: Es muß sich in den Verwaltungen endlich der Gedanke des Sparens durchsetzen.

Dafür hatte die Große Koalition doch fünf Jahre Zeit.

Franke: Sicherlich. Aber wir mußten ungeheure Aufgaben bewältigen. Wir sind jetzt an der Grenze der Verschuldung angelangt, die kaum noch zulässig ist. Ich kann nur hoffen, daß eine neue Regierung den Ernst der Situation erkennt und wirklich die Verwaltungen zum Sparen zwingt.

Die Grausamkeiten kommen also noch?

Franke: Die müssen einfach mal kommen.

Michaele Schreyer: Fünf Jahre hat die Große Koalition die Ernsthaftigkeit der Finanzsituation nicht in die Politik miteinbezogen. Statt Entscheidungen zu treffen, wurde mit der Gießkanne großzügig Geld in die Stadt hineingegossen. Die Grenze der Verschuldung ist längst überschritten. Täglich müssen allein 7,4 Millionen Mark an Zinsen für Kredite gezahlt werden. Das sind die Baukosten einer Kita.

Franke: Ich gebe zu, daß die Koalitionsfraktionen häufig den Wünschen der Senatoren nachgegeben haben.

Schreyer: Aber es war doch gerade die Erwartung der Bevölkerung, daß eine Große Koalition in der Lage sein würde zu sparen.

Franke: Die Bevölkerung wollte, daß wir die Straßen, die Häuser, die Verwaltung in Ordnung bringen. Wir hatten ja eine sehr satte und fette Verwaltung in Westberlin, wir haben einen total aufgeblähten Apparat im Osten, aus dem wir niemandem betriebsbedingt kündigen durften.

Schreyer: Die Aufblähung der Verwaltung ist nicht nur ein Erbe der Vergangenheit, sondern wird munter weiterbetrieben. Ein Beispiel: Um Personal zu sparen, wurden für Neubaugebiete Entwicklungsträger eingesetzt. Gleichzeitig hat die Bauverwaltung neue Stellen bekommen, um die Entwicklungsträger zu kontrollieren.

Was muß Berlin verkaufen?

Franke: Das Tafelsilber ist ja beinahe gänzlich verkauft. Trotzdem müssen wir uns weiter von Teilen, die unsinnigerweise öffentlich verwaltet werden, trennen. Wir haben jetzt 49 Prozent der Arbeiternehmer-Wohnheimbau verkauft. Ich frage mich: Warum nicht ganz veräußern? Ich würde auch die Gewerbe-Siedlungsgesellschaft total privatisieren. Dagegen ist leider die SPD.

Schreyer: Natürlich muß man im Einzelfall fragen, wo der Staat mitmischen soll. Bei der Gewerbe- Siedlungsgesellschaft, die für kleine und mittlere Betriebe preiswerten Gewerberaum bereitstellt, sagen wir: Gerade in der jetzigen Situation sollte das Land dieses wirtschaftspolitische Instrument in der Hand behalten.

Franke: Aber es kann doch nicht angehen, daß die GSG für 18 Mark pro Quadratmeter vermietet und ein Privater bietet die gleiche Fläche für 13 bis 15 Mark an.

Schreyer: Daß bei der GSG die Frage der Effizienz gestellt werden muß, steht außer Frage.

Sie sind sich einig, daß kaum noch Tafelsilber verkauft werden kann. Also Neuverschuldung?

Schreyer: Das ist der falsche Weg. Nach unseren Berechnungen fehlen im Haushalt im nächsten Jahr vier Milliarden Mark. Das heißt, der Doppelhaushalt 1995/96 ist längst Makulatur. Es wird nicht nur einen Nachtragshaushalt bei einzelnen Titeln, sondern eine generelle Überprüfung geben. Die betrifft alle Bereiche. So müssen im Personalbereich über eine Milliarde Mark eingespart werden. Nicht durch Stellenstreichungen, sondern indem man dabei die Verwaltungsreform und Arbeitszeitreduzierung verknüpft.

Auch bei weniger Lohn?

Schreyer: Arbeitszeitreduzierung heißt solidarische Lohnpolitik. Den vielen niedrig bezahlten Beschäftigten kann man eine Kürzung nicht aufbürden, deshalb muß die Arbeitszeitverkürzung bei den höheren Lohngruppen auch ohne Lohnausgleich erfolgen.

Gibt es bei der Nettoneuverschuldung einen Spielraum?

Franke: Nein. Das hat mittlerweile auch die Finanzverwaltung eingesehen. Wenn ich Sie richtig interpretiert habe, sind Sie gegen eine weitere Neuverschuldung, Walter Momper von der SPD aber ist dafür. Das wäre bei einer rot-grünen Konstellation ihr Problem.

Schreyer: Das ist auch bei einer Großen Koalition das Problem – das haben die fünf Jahre gezeigt. Wir wollen aber auch keine neue Schattenhaushalte durch die Sonderfinanzierungen. Beim Messebau muß das Land für die private Vorfinanzierung ab 1998 jährlich 127 Millionen aufbringen. Da werden künftige Regierungen verpflichtet, diese immense Summe in ihrem Haushalt miteinzuplanen. Es darf nicht mehr bestellt werden als finanziert werden kann.

Franke: Ich habe die Sonderfinanzierung befürwortet, bis hin zur dritten Baustufe des Messeabschnittes. Jetzt ist das Ende aber erreicht, da gebe ich Ihnen recht.

CDU-Finanzsenator Elmar Pieroth würde gern mehr auf die Sonderfinanzierung setzen ...

Frank: Das mag sein, aber ich bin nicht der Finanzsenator; ich spreche hier als Vorsitzender des Haushaltsausschusses. Ich beneide niemanden, der demnächst diesen Posten übernimmt, gleichgültig ob nun Frau Schreyer oder ...

Schreyer: (lacht) ... nur kein Sozialdemokrat.

Macht die SPD eine altmodische Verteilungspolitik?

Schreyer: Vielen Sozialdemokraten scheint nicht bewußt, daß Verschuldung Folgelasten mit sich bringt. Jede vierte Steuermark fließt heute bereits in die Schuldenlast. Die SPD befürchtet, ohne Zuwächse im Haushalt gebe es keine Reformpolitik. Das stimmt nicht. Reformen kann man auch mit einer Sparpolitik machen.

Ist die SPD in Sachen Finanzen eine Gefahr für die Stadt?

Franke: Um Gottes willen, nein. Die Ausgabenwünsche beschränken sich nicht nur auf die SPD, davon ist meine Partei ebensowenig verschont wie die Bündnisgrünen.

Schreyer: Nicht nur beim Messebau, auch bei anderen Projekten wurden finanzielle Belastungen bis weit in die Zukunft hinein festgeklopft. Im Kulturbereich wurden die Ausgaben für große Institutionen gesichert, für die kleinen Projekte aber gab es keine Vertragsfinanzierung. Für die Opernhäuser werden über 236 Millionen Mark im Jahr ausgegeben, für die Frauenpolitik nur 36 Millionen. Ehe ich den Frauen eine Mark streiche, sollen die großen Kulturbereiche lernen, effektiver zu arbeiten.

Franke: Sie haben doch gelernt. Die Schließung des Schiller Theaters mit einem Sparvolummen von 30 Millionen Mark pro Jahr hat über Berlin hinaus einen enormen Effekt gehabt. Plötzlich hat die Berliner Kultur vernünftige Vorschläge gemacht – vielleicht noch nicht weit genug.

Herr Franke, ein Feld möglicher Haushaltsentlastung ist die Baupolitik. Sollten Wohnungen an die Mieter verkauft werden?

Franke: Bei einzelnen Häusern mag das funktionieren. Geld in die Kassen bekommt man aber nur, wenn man ganze Blöcke an solide Investoren verkauft, die diese dann verwalten und vermieten unter Bindung der Sozialverpflichtung. Ich bin dafür, die Wohnungen im Ostteil zu verkaufen, nachdem man sie einigermaßen in Ordnung gebracht hat. Der Erlös darf aber nicht in den Etat gehen, sondern muß zweckgebunden für die Wohnungsmodernisierung ausgegeben werden.

Schreyer: Wir sind gegen den Wohnungsverkauf. Mit diesem Schritt hat die Große Koalition den Wohnungsbaugesellschaften zusätzliche Mittel zur Finanzierung des Wohnungsneubaus verschafft. Die Folge: abbezahlter und gesichert preiswerter Bestand wird verkauft, um teureren Neubau zu finanzieren. Das ist der falsche Weg. Für Wohnungen aus Sanierungsgebieten müssen Modelle her, damit Mieter ihr Haus als Genossenschaft erwerben können.

Franke: Da ist nichts gegen zu sagen – aber es funktioniert so nicht.

Schreyer: Es funktioniert nicht, weil Mieter beispielsweise einen Genossenschaftsanteil nicht von der Steuer absetzen können. Ganz anders ein Kapitalanleger. Hier sind Initiativen nötig.

Können wir uns große Wohungsbauvorhaben wie die Wasserstadt Oberhavel noch leisten?

Schreyer: Die Planung des Bausenators fußt auf einem ungedeckten Wechsel. Es muß eine andere Prioritätensetzung erfolgen: Mehr Sanierung, weniger Wohnungsneubau, Konzentration der Fördermittel auf den sozialen Wohnungsbau, gleichzeitig mehr freifinanzierter Neubau.

Die Streckung von Stadtentwicklungsgebieten, die Umschichtung hin zu den Sanierungsgebieten ist notwendig. Beispielsweise sind für den Kollwitz-Platz von geplanten 239 Millionen Mark für Infrastrukturmaßnahmen bis 1998 nur fünf Millionen Mark abgesichert. Nach den Jahren der Stadterweiterung sind jetzt Jahre der Stadtsanierung angesagt. Dabei könnte der Eigenanteil bei der Mietermodernisierung erhöht werden. Für das Kapital, das die Mieter reinstecken, erhalten sie ein paar Jahre reduzierte Mieten.

Franke: Ihre Pläne sind ja recht schön. Aber man braucht die Bevölkerung dazu. Natürlich hat es da ganz gute Ansätze gegeben. Sie haben recht mit der Besteuerung von Genossenschaftsanteilen – aber es müssen auch Impulse ausgehen von den hiesigen Wohnungsbau-Genossenschaften. Die leben größtenteils von der Hand in den Mund.

Schreyer: Gerade in den Sanierungsgebieten gibt es viele Initiativen. Aber es gibt derzeit eine Vorherrschaft der großen städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die den direkten Zugriff auf die Politik haben. Um etwas zu verändern, muß man deshalb auch andere Rechtsformen haben, die den Mietern die Sicherheit preiswerter Wohnungen gewährleistet.

Franke: Das kriegen sie über die städtischen Wohnungsbaugesellschaften.

Schreyer: Eben nicht. Die Große Koalition ist verantwortlich, daß die städtischen Wohnungsbaugesellschaften ihre Wohnungen veräußern und eine große Unsicherheit bei den Mietern entsteht.

Wie wollen Sie im Wohnungsbau Geld einsparen?

Franke: Einen Totalverzicht auf den sozialen Wohnungsbau wird es nicht geben. Aber wir werden eine Prioritätenliste aufstellen müssen. Das nächste, was kommen muß, ist – etwas gestreckt – die Wasserstadt Oberhavel. Weitere Programme kommen mangels Geld vorläufig nicht in Frage.

Schreyer: Selbst die Finanzverwaltung sagt klar, die Neubauzahlen sind nicht zu halten. Löst man dies Problem durch Umschichtung auf den zweiten Förderungsweg und stellt dafür immer weniger preiswerte Wohnungen bereit? Wir wollen uns auf den ersten Förderungsweg konzentrieren, um das bezahlbare Wohnsegment zu erhalten.

Franke: Wo ist denn der erste Förderungsweg noch preiswert?

Schreyer: Nicht für das Land, aber für den Mieter. Wir werden den Mietbindungszeitraum ausdehnen. Schließlich kostet jede Sozialwohnung heute in der Förderung den Steuerzahler 570.000 Mark. Angesichts dessen ist es Unsinn, die Mietbindung nur für 15 Jahre festzuschreiben.

Franke: Wir müssen feststellen, wie hoch der Anteil der Sozialwohnungen sein soll. Was augenblicklich passiert, ist nicht in Ordnung. Wenn 250 Sozialwohnungen gebaut werden, müssen weitere 250 Wohnungen frei finanziert sein. Das kann ein ehrlicher Bauherr vergessen. Die frei finanzierten Wohnungen wird er nicht los. Und wenn er sie nicht baut, dann verhängt der Bausenator hohe Strafen. Ein Ausweg aus der Finanzierungsproblematik ist der Vorschlag von Bundesbauminister Töpfer, die Fehlbelegungsabgabe im sozialen Wohnungsbau zugunsten einer einkommensabhängigen Miete abzuschaffen.

Wir machen hier eine Heerschau im Jammertal. Aber wo sind Chancen, die finanzielle Situation zu verbessern?

Franke: Wir müssen auf dem Weg der Verwaltungsreform weiterkommen. Unglücklicherweise haben wir die Verringerung der Zahl der Bezirke nicht geschafft. Verstärkt werden muß bei der notwendigen weiteren Reduzierung des Beamten- und Angestelltenapparates die Eigenverantwortung. Wo es ohne sozial schädliche Auswirkungen möglich ist, brauchen wir Privatisierungen.

Schreyer: Ich sehe eine ganze Menge an Einsparmöglichkeiten, wenn der Filz, der unter der Großen Koalition gewachsen ist, wieder eingedämmt wird.

Franke: In Ihren zwei Jahren unter Rot-grün könnte ich auch viel Filz aufzählen ...

Schreyer: Das ist Unsinn. Die Senatsverwaltung für Umweltschutz muß jetzt beispielsweise in einen Neubau ziehen, der vom CDU- Abgeordneten Buwitt vermakelt wurde. Dafür werden jährlich 5 Millionen Mark mehr Miete fällig.

Franke: Das hat nicht der Abgeordnete Buwitt, sondern seine Firma vermakelt. Man darf doch wohl noch arbeiten. Das täte ihnen auch mal ganz gut – zu arbeiten und nicht nur hier Abgeordnete zu spielen.

Schreyer: Sie haben nur Angst, daß ich Ihnen zu genau auf die Finger schaue.

Franke: Man muß doch ehrlicherweise zugestehen, daß in den letzten Jahren die Steuereinnahmen höher waren als unsere Schätzungen. 1995 ist es nun umgekehrt. Wir werden weit über 500 Millionen Mark ...

Schreyer: eine Milliarde ...

Franke: ... weniger an Steuern einnehmen. Wir haben 700 Millionen Mark zusätzliche Kosten durch Kriegsflüchtlinge. Das ist ja in Ordnung. Aber wir müssen das allein aufbringen, weil uns kein anderes Bundesland dabei hilft.

Das sind nur zwei Beispiele, die uns in Schwierigkeiten gebracht haben. Ich kann nur hoffen, daß ein neuer Senat jetzt tatsächlich an strukturelle Einsparungen herangeht, die Verwaltungsreform weiterführt und weiß, daß die Grenze der Neuverschuldung erreicht ist. Ansonsten kommen wir in einen Haushaltsnotstand, der soweit führen kann, daß wir nicht mehr über uns selber bestimmen, sondern daß Berlin von Bonn regiert wird.

Interview: Severin Weiland und Gerd Nowakowski