Die Kirche als Zentrum der Gemeinde

■ Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche umgebaut: Büro, Küche, Ausstellungsräume und mittendrin Kirche

Zugemauerte Fensterhöhlen wurden geöffnet, die roten Backsteine wieder freigelegt. Auf einer Empore aus Stahl kann man nun in luftiger Höhe das Zentrum des kreuzförmigen Kirchengebäudes umrunden. In den hohen Raum ist ein Zwischengeschoß eingebaut worden, wo künftig die Gemeindeverwaltung arbeitet. Zur besseren Beleuchtung des Innenraums ist der Dachfirst verglast worden.

Der frühere Kirchengrundriß ist komplett verändert worden. In den Seitenkapellen ist die Ausländer- und Asylberatung der Gemeinde untergebracht, vom Kirchenraum nur abgetrennt durch eine Glaswand. Ein Schallsegel kann von der Kirchenkuppel heruntergelassen werden, um den Hall und den Lärm bei den vielen parallelen Aktivitäten zu dämpfen. Gottesdienste finden zukünftig in einem kleinen Saal im Seitenflügel statt. Für Großveranstaltungen kann die Trennwand zum zentralen Saal beiseite geschoben werden, dann finden bis zu 1.000 Menschen in dem geräumigen Bau Platz. Weitere Büros, die Gemeindeberatung und eine Teeküche befinden sich entlang der Außenwände im Emporengeschoß.

Bis zur letzten Minute vor der gestrigen Wiedereröffnung der Kirche wurden Lampen angeschlossen, wurde gehämmert, gesägt, geschraubt und aufgeräumt. Etwa 18,6 Millionen Mark kosteten der Umbau und die Sanierung der 1888 fertiggestellten Kirche.

Noch vor nicht allzu langer Zeit war das Gemäuer jedoch dem Abriß näher als der Sanierung: Die wechselvolle Geschichte der Heilig-Kreuz-Kirche ist exemplarisch für die Probleme der Berliner Großkirchen. Der Backsteinbau wurde im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört und mußte neu aufgebaut werden. Durch Bevölkerungsrückgang und massive Kirchenaustritte verloren Gemeinden bis zur Hälfte ihrer Mitglieder, die Heizkosten waren nicht mehr zu finanzieren. „Die Heilig-Kreuz-Kirche blieb ab Anfang der 70er Jahre im Winter geschlossen“, berichtet Gemeindepfarrer Jürgen Quandt. Der Leerstand schädigte jedoch die Bausubstanz und vermittelte nach außen den Eindruck, die Kirche sei völlig aufgegeben worden. „Jedes Frühjahr mußte der Putz zusammengefegt werden, der von Wänden und Decke gefallen war“, beschreibt er den trostlosen Zustand.

Daß die Kirche nun saniert ist, ist auch ein Verdienst von Jürgen Quandt, der 1980 als Pfarrer in die Heilig-Kreuz-Gemeinde kam. Den hundertsten Geburtstag der Kirche wollte er gerne mit einem Neuanfang feiern. Gemeinsam mit der Kreuzberger Architektengruppe Wassertorplatz wurde ab 1984 der Umbau geplant. Es wurde eine gemeinnützige Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft gegründet, der Kirchbauhof, der Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen die Möglichkeit bietet, sich bei den Bauarbeiten zu qualifizieren.

Fast 300 Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen haben dieses Angebot genutzt, berichtet Matthias Roß, Geschäftsführer vom Kirchbauhof. Viele von ihnen leben als Flüchtlinge oder ImmigrantInnen im Kreuzberger Kiez und hatten ohne Ausbildung oder als Langzeitarbeitslose kaum eine Chance, Arbeit zu finden. Der Kirchbauhof bietet den BauhelferInnen auch an, sich in Deutschkursen oder Abendschulen weiterzubilden. Die Gemeinde wurde außerdem mit 3,5 Millionen Mark von der Berliner Bauverwaltung unterstützt, da nur ökologische Baustoffe benutzt wurden.

In Berlin stellt sich für insgesamt 55 Großkirchen die Frage, wie die Gebäude erhalten werden können. Ein Verkauf sei schwierig und unsinnig, meint Quandt. Viele Kirchen stehen unter Denkmalschutz, und überall fehlt das Geld für ihre Sanierung. „Die Kirchen sind die markantesten Zentren einer Gemeinde. Deshalb ist es sinnvoller, mit der Gemeindeverwaltung in die Kirche zu ziehen und das Gemeindehaus zu verkaufen als umgekehrt“, findet Pfarrer Quandt. Das alte Gemeindehaus soll deshalb verkauft oder zu einem christlichen Hotel mit Seminarbetrieb umgebaut werden.

Auch andere Gemeinden haben neue Nutzungskonzepte für ihre Kirchen entwickelt. In der Lutherkirche in Spandau werden zum Beispiel gerade Sozialwohnungen eingebaut. In der Auferstehungskirche in Friedrichshain ist ein ökologisches Beratungszentrum geplant. Der Umbau bietet Beschäftigungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten für Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen. In die Thomaskirche am Kreuzberger Mariannenplatz wird eventuell die Hochschule für Künste einziehen. Elke Gundel