„Georgier und Osseten machen oft, was sie wollen“

Unbeachtet von der westeuropäischen Öffentlichkeit hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bei der Lösung von Minderheitenkonflikten im Kaukasus Pionierarbeit geleistet  ■ Von Jürgen Gottschlich

Es gibt eine Thomas-Mann-Gesellschaft und eine Rilke-Gesellschaft, der Anteil des Deutschunterrichts an vielen Schulen ist enorm hoch, und selbst Politiker erweisen sich als erstaunlich beflissen in deutscher Literatur. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments verabschiedet seine Besucher mit einem Goethe-Zitat aus dem Westöstlichen Diwan. Und alle sind überzeugt, daß die Deutschen ihre besten Freunde sind.

Die Rede ist nicht etwa von Frankreich oder einem anderen EU-Partner, sondern von Georgien, dem Land am Schwarzen Meer, wo Genscher-Freund Eduard Schewardnadse trotz Bombenattentaten und Sezessionskriegen versucht, eine neue unabhängige Republik zu etablieren. Offiziell und auf dem Papier ist Georgien zwar seit 1991 ein eigener Staat – wie unabhängig er aber ist, darüber gehen die Meinungen im Land weit auseinander.

„Wir brauchen die Hilfe des Westens“, gibt Goethe-Fan Ganwalidse, der außenpolitische Sprecher des Parlaments, unumwunden zu. „Wir brauchen die internationalen Organisationen, die EU, und wir hoffen vor allem auf Deutschland.“

Tatsächlich hat die besondere Rolle Schewardnadses als Außenminister der Sowjetunion während des Mauerfalls Georgien schon mehrfach genützt: Neunzig Millionen Mark hat Schewardnadse bislang quasi als Anerkennung für seine Verdienste um die deutsche Einheit verbuchen können, weitere Projekte sind geplant. „Schnell und unbürokratisch“, so der deutsche Botschafter in Tblissi, Norbert Baas, habe die Bundesregierung in die Instandsetzung der georgischen Wasserkraftwerke investiert. Dadurch könnten die Energieprobleme des Landes relativ bald beseitigt werden.

Auch in den internationalen Organisationen sind die Deutschen in Georgien präsent. So läuft die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Tblissi schon seit eineinhalb Jahren unter deutschem Kommando. Gründe genug für eine schwarz-grüne Parlamentarierdelegation des Bundestages, Georgien Ende August für einige Tage zu besuchen.

Die CDU-Abgeordnete Anneliese Augustin und der Grüne Helmut Lippelt, beide im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages mit UNO- und OSZE-Fragen befaßt, wollten sich vor Ort einen Eindruck verschaffen, wie die Arbeit der OSZE praktisch aussieht. Ende 1992 hatte Schewardnadse die Vorgängerin der OSZE, die KSZE, ins Land gerufen, um in einem blutigen Konflikt mit der ethnischen Minderheit der Südosseten, die sich von Georgien abspalten wollen, zu vermitteln.

Georgien hat nach Rußland mit zwei autonomen Republiken und dem autonomen Gebiet Südossetien aus der Hinterlassenschaft der UdSSR die meisten nationalen Gebietskörperschaften innerhalb seines Staatsgebiets. In Adscharien, der autonomen Republik an der Grenze zur Türkei, ist es relativ ruhig. Doch Abchasien, der nordwestliche Zipfel des Landes, hat sich in einem heftigen Krieg von Georgien getrennt. Auch die Südosseten wollen weg von Georgien, um sich mit ihren Brüdern und Schwestern in Nordossetien, einer autonomen Republik innerhalb Rußlands, zu vereinigen.

Die Vermittlung im Konflikt mit den Abchasen hat die UNO übernommen, für die Südosseten ist die OSZE zuständig. „Wir haben hier das größte und anspruchsvollste Projekt der OSZE überhaupt“, erklärt der deutsche Missionschef, Botschafter Boden, nicht ohne Stolz. „Das Mandat der OSZE umfaßt sowohl die Überwachung des Waffenstillstands und die Vorbereitungen einer Verhandlungslösung in Südossetien, als auch die Unterstützung des Demokratisierungsprozesses in Georgien insgesamt.“

Praktisch bedeutet das, die OSZE beteiligt sich an der logistischen Vorbreitung für die Parlamentswahlen in Georgien im November und unterstützt die georgische Regierung beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen im Land. Vor allem bei der Debatte um eine neue Verfassung haben die Vertreter der OSZE versucht, den georgischen Politikern ein föderalistisches Modell à la Bundesrepublik schmackhaft zu machen.

„Das“, sagt Boden, „würde natürlich eine Lösung der Konflikte mit den Minderheiten im Land erleichtern.“ Noch aber ist der Weg dahin weit. Zwar hat das georgische Parlament vor einigen Wochen eine Verfassung verabschiedet, die Frage nach der föderalen oder zentralen Organisation des Landes wurde aber erst einmal ausgegeklammert. Das liegt daran, daß die Abchasen, denen die Georgier eine bayrische Lösung zugestehen würden, keine Föderation anstreben, sondern eine Konföderation zweier gleichberechtigter Staaten. Die Georgier wollen auf der anderen Seite den Südosseten, die mit einem Bundesstaat zufrieden wären, soviel Eigenständigkeit nicht zubilligen.

Georgien, Mikrokosmos des ganzen Kaukasus

Georgien ist mit seinen Minderheitenproblemen so etwas wie ein Mikrokosmos des Kaukasus, spiegelt aber auch die Fragen, die die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) insgesamt hat. Dabei hat die finanziell und institutionell so schwache OSZE bei der Lösung der Minderheitenkonflikte in der ehemaligen Sowjetunion echte Pionierarbeit geleistet: Sie intervenierte erfolgreich zugunsten der russischen Minderheit in den baltischen Staaten, und hat in Moldova, Armenien und Aserbaidschan bis Georgien Vorschläge für einen neuen verfassungsmäßigen Status der jeweiligen Minderheiten gemacht.

Am weitesten ist das Projekt in dem Konflikt zwischen Moldova und dem abtrünnigen Transnistrien gediehen. In diesen Tagen soll dort ein Vertrag unterzeichnet werden, der auf einen Vorschlag der OSZE zurückgeht und die Beziehungen zwischen Moldova und Transnistrien regelt. Das wird im Fall Georgien noch einige Zeit dauern. Der deutsche Diplomat Rolf Welberts, der ein ähnliches Statuspapier für Südossetien erarbeitet hat, macht sich da keine Illusionen. „Der Konflikt zwischen Osseten und Georgiern war blutiger und grausamer als in Moldova, die Wunden sind tiefer.“

Acht Monate lang hat Welberts in ständigen Diskussionen mit Politikern in Tblissi und Vertretern der Osseten in der südossetischen Hauptstadt Zchinwali einen Vorschlag entwickelt, der die territoriale Integrität Georgiens unangetastet läßt, aber gleichzeitig die Substanz der ossetischen Wünsche nach Selbstverwaltung berücksichtigt. Unter der Hand ist ihm zwar von Vertretern beider Seiten viel Zustimmung signalisiert worden, offiziell aber liegt der Vorschlag auf Eis, haben die politischen Gespräche zwischen Tblissi und Zchinwali noch nicht begonnen.

Deshalb beschäftigt sich die Hälfte der Mitarbeiter der OSZE- Mission in Georgien mit der Überwachung des Status quo. Jeden Morgen um halb zehn, verläßt einer der weißen Geländewagen mit dem Emblem der OSZE das Gelände der Mission am Stadtrand von Tblissi in Richtung Südossetien. Ausgerüstet mit einem Funkgerät und einer Satellitennavigation, die es ermöglicht, jederzeit den genauen Standort des Wagens festzustellen, starten zwei OSZE- Militärs zur Überwachung eines Planquadrats in Südossetien.

Überwacht wird die dortige Peace-keeping-Truppe, die schon für sich ein Kuriosum ist. Sie umfaßt 3.000 Mann, davon die Hälfte Russen und jeweils ein Viertel Georgier und Südosseten. Die gesamte Truppe untersteht einem russischen General, operiert aber nur in nationalen Einheiten.

Systematisch klappert das Tagesteam der OSZE in einem vorher festgelegten Bereich die Stellungen der Peace-keeper ab, erkundigt sich nach besonderen Vorfällen, überprüft die Anzahl der vorhandenen Waffen und achtet auf die Einhaltung anderer Vereinbarungen des Waffenstillstands.

„Als ernstzunehmende Truppe kann man eigentlich nur die Russen zählen“, sagt einer der OSZE- Militärs, „Georgier und Südosseten machen oft, was sie wollen.“ Vor allem die Südosseten haben eher den Status von Freizeitkriegern. „Es kommt vor, daß wir an einem Stützpunkt, wo 30 Leute sein sollen, nur drei vorfinden. Die anderen sind nach Hause gegangen, um auf den Feldern zu helfen oder sich um ihre Familien zu kümmern.“ Das stört die OSZE-Überwacher auch gar nicht so sehr, nur ihre Gewehre sollen die Peace- keeper im Stützpunkt lassen. „Die nehmen sie aber meistens mit aufs Feld, und das geht natürlich nicht.“ Solche Vorfälle sind es, die dann in den Monitoring-Berichten auftauchen, die die OSZE erstellt und an alle Konfliktparteien verteilt.

Ohne Moskau geht nichts für die OSZE im Kaukasus

In den letzten Monaten ist die 17köpfige Mission aber auch in ihren diplomatischen Bemühungen einen Schritt vorangekommen. Es gelang, zwei Runde Tische zu organisieren, wo sich einmal in Tblissi, einmal in Wladikawkas, das ist die Hauptstadt Nordossetiens, Vertreter gesellschaftlicher Gruppen aus Georgien und Ossetien zusammensetzten und miteinander diskutierten. Darüber hinaus wurde zwischen den Konfliktparteien die Vereinbarung erzielt, noch in diesem Monat mit den offiziellen Verhandlungen zu beginnen.

Ohne eine Lösung in Abchasien, heißt es, wird es auch zu keinem Ergebnis in Südossetien kommen. Die Abchasen aber warten ab, wie die Wahlen zur russischen Duma im November ausgehen.

Die OSZE ist mehr noch als die UNO darauf angewiesen, von allen Konfliktparteien akzeptiert und gerufen zu werden. Das besondere Problem im Transkaukasus ist, daß außer den direkten Konfliktparteien Rußland immer mit von der Partie ist. Das führt dazu, daß die Abchasien-Verhandlungen, die eigentlich unter UN-Leitung und der Beteiligung der OSZE in Genf stattfinden sollten, zur Zeit tatsächlich in Moskau geführt werden. Und in Südossetien passiert nichts, bis der stellvertretende russische Außenminister Zeit gefunden hat, nach Zchianwali zu kommen.

Dasselbe gilt für das derzeitig ergeizigste Projekt der OSZE überhaupt. Bei dem Gipfeltreffen in Budapest im Herbst letzten Jahres wurde vereinbart, daß die OSZE in Berg-Karabach, erstmals in ihrer kurzen Geschichte, einen Blauhelmeinsatz durchführt – im Auftrag der UNO, aber in eigener Regie. Nach Informationen aus dem Hauptquartier in Wien, die OSZE-Generalsekretär Höynck – auch ein Deutscher – kürzlich bestätigte, haben 30 Offiziere aus unterschiedlichen Ländern eine detaillierte Planung für den Einsatz vorbereitet. Obwohl Aserbaidschan wie auch Armenien prinzipiell ihre Zustimmung signalisiert haben, fällt die Entscheidung de facto in Moskau.

Für David Mark, dem stellvertretenden Leiter der Tblissi-Mission, wird sich daran zeigen, ob die OSZE tatsächlich zu einer ernstzunehmenden Organisation wird oder nicht: „Berg-Karabach wird die Nagelprobe.“