■ Nebensachen aus Kairo
: Diät für Fahrstuhlkabinen

Wir sind umgezogen. Anstatt uns wieder im nervenraubenden Geschehen der alles verschlingenden Stadt niederzulassen, haben wir beschlossen, Kairo in den nächsten Jahren ein wenig von oben zu betrachten. Der atemberaubende Blick aus dem 16. Stock spricht seine eigene Sprache. Alles ist wunderschön – wäre da nicht dieser kleine Haken.

„Bismillah Rahman wa Rahim“ – „Im Namen Gottes des Barmherzigen und Allmächtigen“, flüstert mein Mitfahrer verstört vor sich hin, als sich die Türen des Aufzugs schließen und das Gefährt seinen Weg nach oben sucht. Während die Kabine mit lautem Krächzen den Schacht entlangschrammt, versucht ein weiterer Mitfahrer die angespannte Atmosphäre ein wenig aufzulockern. „Die Kabine hat in den letzten Monaten zugenommen und zwängt sich daher nur noch mit Mühe durch den Schacht. Sie braucht eine Diät“, witzelt er. Die Mitreisenden lachen lauthals, fast als wollten sie ihre mittlerweile bis zum Platzen angestaute Angst überspielen. „Hamdillah Salama“ – „Danke Gott dafür, heil angekommen zu sein“, verabschieden sich die Mitreisenden im 16. Stock.

Daß der Aufzug überhaupt funktioniert hat, war, wie sich später herausstellen sollte, ein purer Glücksfall. „Der Fahrstuhl muß sich ein wenig ausruhen“, war das überzeugende Argument des Pförtners, als wir mit unseren Kisten in seinem Reich ankamen. Zwischen 11–14 Uhr und 16–18 Uhr schwelgt die angekratzte Kabine in ihrer wohlverdienten tariflich festgelegten Pause – Mahlzeit.

Derweil erweist sich unser Lift als durchaus nicht einzigartig. Viele der alten Bürgerhäuser im Zentrum sind bis heute mit alten Kolonial-Fahrstühlen ausgerüstet. Mit ihren königlichen Käfigschächten und holzgetäfelten Kabinen wirken sie, als seien sie noch von einer Dampfmaschine angetrieben. Ersatzteile dürfte es schon seit Jahrzehnten nicht mehr geben und, als wolle man noch so gut es geht für weitere hundert Jahre einen reibungslosen Verlauf gewähren, triefen Seilzug und Aufhängung vor schwerem Maschinenöl. Nostalgisch hängt auch der schwere Geruch des Öls und des von Würmern zerfressenen Holzes bereits über dem Eingang.

In anderen Kairoer Gebäuden geben die Gastgeber ihren Gästen nützliche Tips für die Fahrt. „Falls das Seil reißt, sofort in die Knie gehen“, war etwa ein gut gemeinter Rat. Und zur endgültigen Beruhigung fügt der oben Gebliebene hinzu: „Ein Freund hat mir erzählt, daß ein Paar in der Hockstellung einen Aufzugabsturz aus dem achten Stock überlebt hat.“

Wer in seinem Leben noch nicht steckengeblieben ist, sollte auf jeden Fall zwecks Erfahrungsbereicherung einen längeren Besuch in der Nilmetropole wagen. Ein Berliner Freund ist gar einmal im hundert Meter hohen Aussichtsturm der Stadt hängengeblieben. Bereits nach wenigen Minuten brach in der Kabine Panik aus, die selbst die Hartgesottensten hemmungslos um Hilfe schreien ließ. Seitdem verweigert sich mein Freund jeglicher zivilisatorischer vertikaler Fortbewegungsmethode.

Aber keine Panik. Alles findet seine Lösung. Wenn in unserem Haus der Strom ausfällt und der Aufzug steckenbleibt (das passiert mindestens zweimal wöchentlich), macht sich der Pförtner auf den Weg und sammelt in den Büros eine Spende für den Elektriker. Diejenigen, die Glück hatten und nicht kurz zuvor noch in den Aufzug gesprungen waren, machen sich geduldig bis zu zwanzig Stockwerke auf den Weg nach oben oder unten, oder gehen ins nächste Café, bis der Elektriker sein Werk beendet hat und es wieder heißt: Freie Fahrt – im Namen Gottes des Barmherzigen und Allmächtigen. Karim El-Gawhary