Schweißnaht-Poesie

■ Wulf Kirschner erobert „umlaufend“ die Städtische Galerie im Buntentor

Wie Schleimfäden einer Schnecke reihen sich Schweißspuren auf rostig braunem Grund. Und das tausendfach. Für seine Rauminstallation „umlaufend“ in der Städtischen Galerie im Buntentor hat Stahlplastiker Wulf Kirschner mehr als 250 „Schweißspurobjekte“ geschaffen.

Entlang den leuchtend weißen Wänden der alten Gär- und Lagerhalle der Brauerei Remmer zieht sich derzeit der Fries aus rostigen Stahlblechplatten. Alle etwa DIN-A 4 groß, hochkant plaziert, Schulter an Schulter gehängt, mit horizontalen Schweißnähten benetzt. Souverän besetzt der 48jährige Künstler aus Cuxhafen, der in den 70er Jahren in Hamburg neben Kunst- auch Philosopievorlesungen besucht hatte, mit diesem konsequenten Ordnungssystem die alte, säulengestützte Halle.

Entgegen der Reizüberflutung mancher Retrospektive und vollgepfropfter Kunstschau gelingt bei dieser Rauminstallation Konzentration aufs Detail. BesucherInnnen wandeln entlang dem tristen Rostband, das sich in Augenhöhe erstreckt. Treten näher, um Silberstreifen im Detail zu studieren, entfernen sich, bis Einzelreflexe zu Gesamtflächen verschmelzen. Jede Platte ein eigenes Kunstwerk und ein abstraktes Hilfsmittel, um die Dimension Raum zu erfahren. Monoton ist das nicht.

An der Küste hatte Kirschner zuvor „Seezeichen“ geschaffen, vergängliche Spuren im Watt hinterlassen, senkrechte Pfähle der aufkommenden Flut überlassen. Das Spannungsgeflecht von Linie, Fläche, Raum, das sein gesamtes Werk kennzeichnet, erinnert auch bei seiner jüngsten Installation an den weiten Horizont der Nordseeküste. Kirschner: „Ich lebe an der Küste. Dort ist der Himmel etwas höher, und die Horizontale ist aufdringlich vorhanden. Der Wahrnehmungsraum ist fast zweidimensional. Wenn ich auf Wasser schaue und darüber den Himmel sehe, so habe ich die strikte Einteilung in zwei Flächen.“ In seinen Schweißspurobjekten will er diese „Zweidimensionalität des Fernraums als Relief in den Nahraum überführen“.

Nach genauesten Messungen und Probehängungen von Pappschablonen in der Städtischen Galerie stand für den norddeutschen Klardenker und international anerkannten Künstler jedenfalls das Bremer Ausstellungskonzept fest. Mit Besessenheit und dem Willen zur Wiederholung, die diesmal durchaus an Konzeptkünstler Roman Opalka erinnert, wurde mit dem funkenstiebenden Schweißgerät Linie für Linie in den rostigen Grund eingebrannt.

Acht Wochen lang habe der Bildhauer im Atelier Schutzbrille, Handschuhe und Mundschutz angelegt und Platte für Platte bearbeitet, erzählt Henning von Bonin von der Städtischen Galerie. Mehr als eine Woche habe allein die pingelige Hängung in der Städtischen Galerie mit Lineal und Wasserwaage gedauert.

Ergebnis der Schweiß- und Schweißerarbeit sind Stahlplatten mit silbrig glänzende Horizontallinien, die wohltuend unregelmäßig und an manchen Stellen gekleckt wirken. Wie beschriftete Blätter leuchten die Einzelplatten an einem Sonnentag.

Mit einem eigenen Lieferwagen hatte Kirschner die kiloschwere Last mit dem Transporter in die Bremer Neustadt gekarrt. Was mit dieser glänzend in den asymetrischen Raum über der Weser eingepaßten Installation nach der Ausstellung passieren soll, ist ungewiß. Die Präsentation an einem anderen Ort ist kaum vorstellbar

Sabine Komm

Ausstellung bis 29. 10 in der Galerie im Buntentor steinweg