Rudolf, der Schlaffe Von Mathias Bröckers

Kaum hatten zwei Ingenieure unlängst auf einem einsamen Hügel im Westerwald ein kleines Windmeßgerät aufgestellt, näherte sich ein Einheimischer und erkundigte sich nach dem Treiben. „Wir wollen eine Windmessung durchführen.“ Der Bauer runzelte die Stirn: „Wind?... Wind, so was gibt's hier nicht!“ murrte er. Die beiden Ortsfremden wunderten sich, wird doch der „schöne Westerwald“ („...über deine Höhen pfeift der Wind so kalt“) wegen dieser klimatischen Eigenschaft sogar im Volkslied gerühmt.

Sie kannten aber den Menschenschlag nicht, den rauhes Klima und arme Böden dort hervorgebracht haben: den Westerwälder Dickschädel, dessen Sturköpfigkeit gern mit dem Härtegrad des lokalen Gesteins, Basalt, verglichen wird. Da kommt jemand auf die hart erkämpfte Scholle und will meinen Wind messen – klar, daß da die Basaltbirne die Ohren erst mal auf Durchzug schaltet.

Insofern würde ich jede Wette auf die Antwort eingehen, die der Westerwälder Rudolf Scharping geben würde, rückte ihm heute ein Trendforscher auf die Pelle, um die Krise in der SPD zu messen. „Krise der SPD? Davon kann keine Rede sein!“ würde er dumpf murren – auch wenn die Spatzen es von allen Dächern pfeifen. So sind sie eben, die „Wäller“, stur wie ein Basaltklotz, und den Kanzlerkandidaten hat sich der Rudi nun mal in den Kopf gesetzt. Da ist nichts zu machen, selbst wenn die Demoskopen für die SPD derzeit gerade mal 28 Prozent voraussagen. Eher hört der Wind über dem Westerwald auf zu pfeifen, als daß die Sozialdemokratie mit dieser Pfeife an der Spitze die Wende schafft – doch der Kandidat sitzt die Totalflaute locker aus. Fragen nach dem Rücktrittstermin werden wahrscheinlich erst akzeptiert, wenn die Sozis auf FDP-Niveau, hart an die Fünfprozentklausel, runtergewirtschaftet sind.

Schon hat der dicke Kanzler die Parole ausgegeben, die SPD im Wahlkampf zu schonen – Ödnis droht in der Bundesliga, wenn immer nur der Spitzenreiter gewinnt und sich die Verfolger selbst verstümmeln, und sie droht auch im politischen Geschäft. Nur gegen einen halbwegs profilierten Gegner ist der Sieg des Champions wirklich etwas wert.

„Aus Mitleid: SPD!“ – wer hätte gedacht, daß der großen Arbeiter- und Volkspartei einmal solche Parolen blühen! Doch andere Wahlargumente lassen sich derzeit kaum finden. Geschweige denn so etwas wie Oppositionsgeist, Aufbruchstimmung oder Wille zur Wende. Als ob es nicht auch tausend Gründe gäbe, der Kohl-Monarchie und dem Lambsdorff-Adel auf der Stelle den Garaus zu machen.

Doch mit Rudolf, dem Ritter von der Krankenkassenvorsitzenden-Gestalt, ist kein Staat zu machen; um den Prachtkanzler vom Thron zu jagen, braucht es mehr als einen Basaltschädel mit dem Charisma einer nassen Nudel. Womit natürlich nicht gesagt sein soll, daß die „Al dente“-Version der SPD (Schröder) eine Alternative ist. Was tun? „Einigkeit“ mahnten die SPD-Oberen am Wochenende zum 100sten von Kurt Schumacher, Einigkeit macht stark.

Wirklich? Selbst mit Papa Kohl und der gesamten CDU im Rücken knickte Scharping in der Diäten-Frage ein. Mit einem solchen Umfaller geht definitiv gar nichts mehr.