Freie mit Verband

■ Weder streßfrei noch durchhörbar: Am Wochenende tagte in Berlin das bundesweite Treffen der "freien Radiomacher"

Ungewohnte Klänge drangen am Wochenende aus Berlins Radiogeräten. Statt „Musik garantiert streßfrei auch am Wochenende“, wie sonst ein Privatsender droht, störte schneller HipHop, lauter Punk und schräger Underground die Friedhofsruhe im Radiodschungel der Hauptstadt. Statt ausgewogener Wortbeiträge, „knapp und auf den Punkt gebracht“, waren bewußt einseitige Verlautbarungen diverser politischer Initiativen mindestens vier Minuten lang zu hören.

Urheber des ungewohnten Sounds war Berlins Radioinitiative PI, die aus Anlaß des Klangfestivals der freien Radios 48 Stunden live auf Sendung gehen durfte. Drei Tage lang traf sich alles, was in der Berliner Szene der nichtkommerziellen Radios Rang und Namen hat, um ihre Sendungen zu hören, zu diskutieren und zu überlegen, wie es demnächst besser gemacht werden kann. Blieben die RadiomacherInnen im Mehringhof weitgehend unter sich, war diese Ausstrahlung ein voller PR- Erfolg. Obwohl das Programm in weiten Teilen Berins kaum zu empfangen war, liefen die Studiotelefone heiß. Viele HörerInnen fühlten sich an selige Radio-100- Zeiten erinnert.

Doch die Erinnerung an den legendären Berliner Alternativsender, der vor nunmehr fünf Jahren in Konkurs ging, ist auch alles, was PI mit dem alten Radio 100 verbindet. Die beiden Gruppen trennen Welten. Kamen die Initiatoren von „Radio 100“ noch samt und sonders aus dem Westteil der Stadt – damals stand die Mauer noch –, besteht PI fast ausschließlich aus „Ossis“. Erste Sendeerfahrungen haben sie im Dunstkreis des legendären Piratensenders „P“ wie Prenzlauer Berg gesammelt. Während Radio 100 ein gemäßigt linkes Programm veranstaltete, das mit der Alternativen Liste sympathisierte, ist im PI-Programm viel Platz für Autonome und Hausbesetzer; wenn Parteipolitik vorkommt, dann die der PDS.

Wie sich die Zeiten geändert haben, zeigte sich auch beim Hörfestival. Gab es in den späten achtziger Jahren neben Radio 100 lediglich Dreyeckland aus Freiburg und Radio Z aus Nürnberg, die regelmäßig im Äther zu hören waren, komplettieren heute Sender aus Sachsen und aus Bayern das Feld der „aktiven Sender“. Und schon im nächsten Jahr werden in Niedersachsen mindestens sechs weitere nichtkommerzielle Lokalradios ihren Betrieb aufnehmen.

Auch in Hamburg rechnet man fest mit der Lizensierung des „Freien Sender-Kombinats“. Deren Vordenker, Marcel Stötzler, war an der Elbe schon zu Radio- 100-Zeiten aktiv. Nicht viele, die am Wochenende in Berlin waren, haben so lange durchgehalten. Die Mehrzahl der Funker ist erst seit kurzem dabei. Bessere Lizensierungsaussichten für nichtkommerzielle Radios motiviert offensichtlich zu verstärkter Mitarbeit in den lokalen Projekten. Die sind sich aber eigentlich nur in zwei Punkten einig: Ihr Radio soll „Gegenöffentlichkeit von unten“ herstellen und sich nicht durch Werbung finanzieren.

Das jahrzehntelange Streitthema der alten RundfunkaktivistInnen, die Finanzierung, ist also vom Tisch. Möglich macht dies eine Vereinbarung der Bundesländer, wonach künftig der nichtkommerzielle Lokalfunk aus der Rundfunkgebühr unterstützt werden darf (genauer: aus den zwei Prozent, welche die Medienanstalten bekommen, aber nicht aufbrauchen). Auch die Organisation der Radiogruppen hat sich den neuen Zeiten angepaßt. Sendete früher jede der drei Stationen vor sich hin, existiert nunmehr sogar eine schlagkräftige Standesorganisation: Der „Bundesverband freier Radios“ (BFR) versteht sich als Sprachrohr der einzelnen Initiativen und hat sich die Außenvertretung des nichtkommerziellen Radiogedankens insgesamt zur Aufgabe gemacht.

Auch wenn sich in den letzten Jahren viel geändert hat, so manche Grundsatzdiskussion ist den Alternativfunkern dann doch geblieben. Auch heute noch führt die alte Gretchenfrage, ob ein professionell gemachtes Radioprogramm noch ein freies sei, zu heftigen Diskussionen. Konträr gegenüber stehen sich die Traditionalisten von Radio Dreyeckland und neu entstandene Initiativen wie Radio Stuttgart. Während Eva Wolfangel aus Schwaben meint, „Inhalte müssen auch vermittelt werden, dazu bedarf es einer Sendung, die so produziert ist, daß niemand gleich abschaltet“, warnt Clemens Hauser aus Baden vor der zersetzenden Wirkung von Hierarchien im Sendebetrieb.

Also doch alles beim alten? Wohl nicht ganz: Daß sich das Leipziger Radio Blau ihre Gratis- Postkartenaktion von der Leipziger Volkszeitung sponsern läßt, erstaunt die alten freien Radio-Veteranen dann doch. 1990 wäre man dafür wohl gesteinigt worden, gehört der örtliche Zeitungsmonopolist doch zum Springer-Konzern. Martin Busche