Allgemeine Abschreckung

Vergewaltigung in der Ehe: Eine symbolische Gesetzgebung  ■ Von Sibylle Tönnies

Das Recht ist nicht so frauenfeindlich, wie es auf den ersten Blick aussieht. Man tut der Rechtsprechung, nach der eine Frau zum ehelichen Verkehr verpflichtet war, Unrecht, wenn man diesen Satz jetzt so zitiert, als habe er ein Recht auf Vergewaltigung begründet. Man hat ihn aus dem privatrechtlichen Zusammenhang herausgerissen und dadurch in ein ganz unverdient schlechtes Licht gerückt. Die in der früheren Rechtsprechung immer wieder auftauchende Formulierung, daß die Frau ihrem Mann zum Beischlaf verpflichtet sei, ist ganz eng so zu verstehen, daß dem Mann durch die Verweigerung das Recht gegeben wird, von seiner Frau geschieden zu werden. Nur unter dem Gesichtspunkt, ob ein Scheidungsgrund vorliegt, haben diese Sentenzen Bedeutung. Und wer wollte einem Mann die Trennung von einer Frau verweigern, die nie mit ihm schläft! Für die Frau galt immer dasselbe: Sie durfte sich unter Erhaltung aller Rechte von einem Mann scheiden lassen, der mit ihr nicht ins Bett ging. Der Grundsatz, daß eine Ehe ohne Beischlaf nicht ertragen zu werden braucht, ist fortschrittlich gegenüber dem Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe; er ist freiheitlich und gibt beiden Seiten sexuelle Autonomie: Sie können sich andere Partner suchen oder allein leben.

Auch die strafrechtliche Situation ist nicht so schlecht, wie sie gemacht wird: Vergewaltigung in der Ehe ist bereits strafbar – nur nicht unter diesem Namen. Jede Frau, die von ihrem Mann vergewaltigt wurde, kann ihn wegen Körperverletzung und Nötigung anzeigen. Der jetzige Strafrahmen reicht von Geldstrafe bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.

Von dieser Möglichkeit der Strafverfolgung wird aber kein Gebrauch gemacht. Es fehlt an Anzeigen, und wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter. Das praktische Bedürfnis, die Tat zu ahnden, scheint gering zu sein. Es liegt offenbar nicht das vor, was Juristen Strafnot nennen – sonst hätte sich diese Möglichkeit unter Frauen schon herumgesprochen.

Deklamatorische Bedeutung

Das Bedürfnis nach einer Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe hat andere Gründe. Es ist weniger das Bedürfnis der Opfer als das einer von ihnen nicht beauftragten Lobby, der Frauenbewegung. Diese nimmt mit Recht Anstoß daran, daß wir in einer Rechtsordnung leben, die den erzwungenen ehelichen Beischlaf nicht „Vergewaltigung“ nennt und so dem Irrtum Vorschub leistet, es sei daran nichts auszusetzen. Die Bezeichnung dieser Handlung als „Körperverletzung“ oder „Nötigung“ bringt nicht die spezielle Sauerei, die in der gewaltsamen Penetration liegt, zum Ausdruck. Mit einer Gesetzesänderung, die die eheliche Koituserzwingung in den Tatbestand der Vergewaltigung einbezieht, soll ein Zeichen gesetzt werden: Das Sexualleben innerhalb der Ehe ist nicht grundsätzlich verschieden von dem außerehelichen. Die Ehe gibt dem Mann keine besseren Rechte an dem Körper seiner Frau als anderen Männern: In beiden Fällen ist ihre Einwilligung gleichermaßen ausschlaggebend. Wegen dieser deklamatorischen Bedeutung handelt es sich um eine „symbolische Gesetzgebung“.

Die symbolische Bedeutung der von der Frauenbewegung initiierten Strafrechtsreform geht über den sexuellen Aspekt noch hinaus. Sie bringt eine neue weibliche Grundeinstellung zum Ausdruck: Penetration ist prinzipiell unerwünscht – es sei denn, es liege eine ausdrückliche Einladung vor. Penetration aber ist nicht nur ein physischer Vorgang, sondern eine Grundtendenz der männlichen Potenz, die von Frauen heute als eine Art Imperialismus empfunden wird, als Überlagerung der weiblichen oder „menschlichen“ Strukturen. Mehr noch als politische Fremdüberlagerung dringt der männliche Imperialismus in die weibliche Lebenswelt ein und degradiert ihre Eigentümlichkeiten zu subalternen, inferioren Erscheinungen, die zwar gesellschaftlich notwendig sind, aber einen geringen Status besitzen und in soziale Abhängigkeit zwingen.

Pathologische Abhängigkeiten

Es ist ein epochaler und entsprechend schwerer Schritt, wenn Frauen sich aus der gewohnten Verzahnung mit der männlichen Penetration befreien. Die Frauen haben sich in jeder Hinsicht an die Anforderung angepaßt, das Konkave gegenüber dem Konvexen zu sein; die Anpassung bringt ihnen (jedenfalls potentiell) Liebe, Anerkennung und soziale Sicherheit. Um auf diese Sicherheiten verzichten und das Reich der Unverzahntheit, der Autonomie betreten zu können, braucht eine Frau deutliche Zeichen dafür, daß sie keinen Alleingang macht, der sie aus dem Zahnradsystem der Gesellschaft aushebeln könnte. Sie muß spüren, daß sie sich auch ohne prinzipielle Penetrationsbereitschaft, nämlich autonom, innerhalb der Normalkultur befindet, die sich in dieselbe Richtung bewegt wie sie und sie bei ihrem gefährlichen Gang trägt. Als ein solches Zeichen dient die Reform des § 177 StGB. Verheiratet oder nicht – wir lassen uns nicht durchdringen! Es ist gut, wenn das gesagt wird.

In der Praxis aber handelt man sich mit dieser Vorschrift nur Probleme ein. Man hat es nämlich mit einer geradezu tragischen Konstellation zu tun: Das Opfer der verbotenen Handlung ist ja nicht Opfer in Dauerstellung. Hauptberuflich handelt es sich um eine allzusehr liebende, hörige Frau, und zwar die des Täters. Die schwerste Sanktion der ehelichen Vergewaltigung hätte sie selbst in der Hand: die Trennung. Wenn sie den Willen und die Kraft dazu besäße, könnte sie dem Täter einen empfindlicheren Stoß als das Strafrecht versetzen. Nur: Die wenigsten Ehefrauen trennen sich dauerhaft von dem Mann, der sie vergewaltigt. Die Vergewaltigung nämlich ist die Randerscheinung einer pathologischen Bindung, aus der sich die Frau nicht befreien kann, einer Unterordnung, die die Tat möglich und die Trennung unmöglich macht. Insofern trifft man mit der Bestrafung immer zwei Menschen, den Täter und zugleich das Opfer, das in einem lichten Augenblick Anzeige erstattet und dann in seine alten Verhältnisse zurückgesunken ist. In den Frauenhäusern, in denen ja nur die Frauen auftauchen, die ihren Mann immerhin schon verlassen haben, weiß man, daß sie in 70 Prozent der Fälle in ihre alten Verhältnisse zurückgehen. Die im Ehebett vergewaltigten Frauen sind von ihren Männern in besonders hohem Maße sozial und seelisch abhängig. Das Frauenhaus kann die Intensität der Verbindung nicht ersetzen. Das Opfer ist mit dem Schicksal des Täters so existentiell verbunden, so verzahnt, daß es von seiner Bestrafung mitbetroffen ist. Deshalb ist das Recht in diesen Fällen unfähig, durch die Bestrafung einen Opferschutz zu bewirken.

Symbolische Wirkung und Glaubwürdigkeit

Lediglich in einer allgemeinen Abschreckung, nicht aber in der speziellen Einwirkung auf das Leben von Opfer und Täter kann man von dem neuen Gesetz gute Wirkungen erwarten. Am besten wäre es, die Vorschrift stünde nur als stummer Wegweiser da und brauchte nicht angewendet zu werden. Eine solche rein symbolische Wirkung kann sich das Strafrecht, das seine Glaubwürdigkeit aus gelegentlicher Anwendung bezieht, aber nicht leisten.

Deshalb knetet man jetzt an dem Paragraphen herum, um eine Lösung zu finden, nach der er dann doch nicht angewendet werden muß: Der Frau soll die Möglichkeit gegeben werden, den laufenden Prozeß durch einen nachträglichen Einspruch zu stoppen. Dagegen wird mit Recht eingewandt, daß dieser Einspruch wahrscheinlich unter dem Druck des Mannes eingelegt werden wird – denn da, wo Vergewaltigung vorkommt, wird die nötige Penetranz wohl vorhanden sein. Um diesem Einwand wiederum zuvorzukommen, will man in den Paragraphen hineinschreiben, daß der Einspruch dann als unwirksam gilt, wenn er unter Druck eingelegt wurde. Aber woher will man das wissen? Außerdem ist die Hinzufügung dieser Klausel überflüssig – wegen der allgemeinen Rechtsregel: unter Bedrohung abgegebene Erklärungen sind ungültig. Man will die Klausel aber, um vor der Frauenbewegung einen guten Eindruck zu machen. Aber wie auch immer man sich windet in der Sache – man kann ihrem Dilemma nicht entrinnen.

Die Grünen allerdings winden sich nicht mit, sondern sagen mit aller Härte: Kein Einspruchsrecht, keine minder schweren Fälle, Mindeststrafe zwei Jahre (und das bedeutet: nicht zur Bewährung aussetzbar). Damit bringen sie ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, die pathologische Abhängigkeit, in der die Vergewaltigung ihr Nest hat, nicht zu respektieren und das sado-masochistische Beziehungsgefüge zu zerstören.

Aber eigentlich will man das gar nicht. Man nimmt es nur in Kauf. Man will ja eigentlich ein Fanal setzen: Man will symbolische Gesetzgebung machen. Das ist auch nicht unzulässig; jedenfalls ist das die Hauptauffassung in dem juristischen Meinungsstreit. Man hat mit symbolischer Gesetzgebung schon hervorragende Wirkungen erzielt, zum Beispiel mit der Streichung des § 175 (Schwulenparagraph), der schon vorher keine praktische Bedeutung mehr hatte. Im Falle des § 177 allerdings soll keine Bestrafung symbolisch aufgehoben, sondern symbolisch begründet werden, und da (wie gesagt) das Strafrecht nicht scherzen darf, muß sich die Praxis auf das schwierige Feld wagen, auf dem viel Unheil angerichtet werden kann. Der praktische Preis, den der symbolische Akt kostet, ist hoch. Wie man es auch macht, wird es verkehrt sein.